„Berg“ und „Schlossberg“ sind die ultimativen Klischees unter den deutschsprachigen Weinbergsnamen. Eigentlich ist nichts dagegen zu sagen, weil dahinter eine wichtige Wahrheit steckt, denn natürlich wachsen die meisten Weine in Weinbergen, solange sie nicht in der Ebene wachsen. Klar ist auch: Viele der besten Weinberge im deutschsprachigen Raum sind tatsächlich Steilhänge, keine idyllischen Weingärten oder banale Weinfelder. Und wo Berge sind, stehen oft auch Schlösser oder Burgen.

Es spricht also nichts dagegen, einem Wein, einer Lage den Begriff „Berg“ zu geben. Wenn es nur nicht alle täten. Sie können einen verwirren, die Winzer in Deutschland. Gleich, wie wenn sie in Nepal alle Berge Mount Everest oder Kangchendzönga nannten, was nicht passierte, nennen in Deutschland ziemlich alle Winzer ihre guten Tropfen irgendwas mit Berg. Meistens lauert auch ein Schloss im Hintergrund, denn wir haben in Geschichte gelernt, wo ein Berg, ein Hügel, da auch ein Schloss. Wenn jemand mir von einem Wein aus dem Berg oder Schlossberg erzählt, oder ihn im Restaurant empfiehlt, ist meine erste Frage immer: „Welchen Berg oder welchen Schlossberg meinen Sie?“ Und: „Ist es ein Riesling, Grüner Veltliner, Weißburgunder, Spätburgunder, Blaufränkisch oder Gott weiß was?“ Ich bin verwirrt wie ein deutscher Tourist in einer U-Bahn-Station von Tokio. Diese Namen sagen alles und gleichzeitig nichts. Nicht die in Tokio, die auf deutschen Weinetiketten. Ist die deutsche Sprache nicht voller Vielfalt und Komplexität? Goethe und Grass würden sich im Grab umdrehen, wenn sie die Banalitäten in der deutschen Winzersprache läsen.

"Beim Berg Schlossberg ist alles anders!"

Es gibt genau genommen nur einen Berg Schlossberg. Einen Wein, der den Namen verdient, ein Wein, der einzigartig ist auf dem Planeten. Er gehört zu einer steilen Weinbergslage mit Burgruine bei Rüdesheim am Rhein im Rheingau. Zu dieser Stadt habe ich seit meinem ersten Besuch im Januar 1985 ein tief gespaltenes Verhältnis. Zum einen wird mir schlecht, wenn ich an den unübertrefflichen Weinkitsch und an die spießige Besoffenheit der Drosselgasse denke, ich meide konsequent die ganzen Touristenbuden und Souvenirläden entlang der Front von Rüdesheim am Rhein, als ob ich mich dort mit Ebola anstecken könnte.

Der Maler Apitz ist vom Rüdesheimer Berg Schlossberg so fasziniert, dass…
... er ihn gleich in mehreren Lichtvarianten verewigt hat.

Andererseits habe ich viele großartige Wein-Stunden in Rüdesheim erlebt. Während meiner Zeit als Weinbaustudent auf der Wein-Uni in Geisenheim. Die besten dieser großartigen Stunden sind mit der Weinbergslage Berg Schlossberg verbunden, zum guten Teil weil da Bernhard Breuer war, der Direktor vom Weingut Georg Breuer in Rüdesheim bis zu seinen überraschenden Tod im Frühling 2004, der eine ganze Reihe Spitzenweine erzeugt hat.

Breuer brachte die vergessene Lage wieder ins Gespräch.

Er brachte die etwas in Vergessenheit geratene Lage wieder ins Gespräch und sorgte für etwas Staunen. Bernhard Breuer war einer meiner ersten Kontakte in Rüdesheim und sein „1983 Berg Schlossberg Charta“ der erste große trockene Riesling, den ich aus dieser Lage erlebt habe. 2002 in Sydney, Australien, habe ich ihn zum letzten Mal getrunken, und er war zugleich stark, aber auch von einer ungeheuren Präzision.

„Beim Berg Schlossberg ist alles anders!“, hat mir Johannes Leitz vom Weingut Leitz in Rüdesheim einmal bei einer Verkostung gesagt. Damit meint er, dass trotz vielen Ähnlichkeiten zwischen den Weinbergslagen Berg Rottland, Berg Roseneck, Berg Kaisersteinfels und Berg Schlossberg, der Letztere entscheidend anders ist: Zwar sind alle terrassierte Steillagen westlich von der Stadt Rüdesheim, am rechten Ufer des Rheins mit steinigen Taunusquarzit- und/oder Schiefer-Böden. Der 29 Hektar große Berg Schlossberg aber ist ein Kapitel für sich, weil er genau an der Stelle liegt, wo der Rhein von Westen nach Norden biegt.

Der steilste Weinberg des Rheingaus.

Wer einmal zwischen den Riesling-Reben nahe der Ruine Burg Ehrenfels gestanden hat, wird nie den Blick auf den breiten Rheinstrom vergessen. Dort spürt man, was es bedeutet, dass der Berg Schlossberg der steilste Weinberg des Rheingaus ist. Ich erinnere mich auch an den Cinemascope-Himmel, das extreme Licht und auch daran, wie windig es da ist.

Seit der letzten Jahrhundertwende hat Johannes Leitz sehr viel für die Berglagen von Rüdesheim getan. Und man könnte lange diskutieren über seine Reaktivierung der verlassenen alten Terrassen von dem Berg Kaisersteinfels, wo ein sehr filigraner Wein voller Blüten- und Wildkräuternoten wächst, wichtiger aber war die Begeisterung, die seine mineralischen Kraftpakete aus dem Berg Rottland ausgelöst haben. Oder waren es doch seine zartexotischen, strahlenden Berg-Schlossberg-Weine, die am meisten für den Aufstieg vom Weingut Leitz getan haben?

Drei Magier des Rüdesheimer Berg Schlossbergs (v.l.n.r.): Theresa Breuer (Wg. Breuer), Johannes Leitz (Wg. Leitz) und August Kesseler (Wg. Kesseler)

Damit sind wir bei der größten Errungenschaft des deutschen Rieslings seit meinem ersten Besuch in Rüdesheim. Damals waren die Unterschiede zwischen guten, mittelmäßigen und schlechten Weinen vorwiegend Unterschiede im Reifegrad der Trauben. Während der 1980er-Jahre war die Kernfrage beim deutschen Wein: „Schmeckt er nach voll ausgereiften Trauben? Gibt es nur noch ein Hauch von Grün, oder schmeckt man sehr deutlich unreife Trauben heraus?“ Heute betreffen die wichtigsten Unterschiede Ursprung, Herkunft und Terroir.

Die wichtigsten Unterschiede: Ursprung, Herkunft und Terroir.

Welche guten deutschen Weine man vorzieht, ist heutzutage eine ästhetische Frage. Keine des Alkohols. Bernhard Breuer war damit keinesfalls alleine. Aber diesen Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung großer Weine (und auch ihrer kleineren Brüder und Schwestern) voranzutreiben, darf als große Lebensaufgabe und sein Vermächtnis bezeichnet werden.

Ein trockener Riesling aus dem Berg Schlossberg hat nicht nur eine ausgeprägte Persönlichkeit, geprägt von der Lage, sondern auch ein Temperament. Für Letzteres ist der Winzer zuständig.

Der „Berg Schlossberg“ von August Kesseler beispielsweise ist ein Wein, der das Besondere der Lage auf die Spitze treibt, und ein großes Statement abgibt. Es lautet so: „Ich bin entweder zu viel des Guten oder das Beste, was hier wächst, abhängig von den persönlichen Vorlieben.“

Als ich Anfang des Sommers 2004 Theresa Breuer kennengelernt habe, war sie gerade 20 Jahre alt. Etwas früh, aber vielleicht doch die ideale Zeit, die Verantwortung für das Familienweingut zu übernehmen. Inzwischen hat das Weingut Georg Breuer eine neue Weinstilistik bekommen. Messerscharf? Nein, sushimesserscharf sind Theresas Weine.

Seit 2014 war jedes Jahr im Rheingau mindestens so warm wie der Jahrhundertjahrgang 1976, was den Weinen des Gebiets einen ganzen Schub mehr Reife und Körper verliehen hat. Wer noch Frische und Feinheit im Wein will, muss diese Eigenschaften durch gezielte und präzise Arbeit im Weinberg erkämpfen und genau so geht Theresa Breuer die Sache an. Rein theoretisch ist der Berg Schlossberg eine bevorzugte Lage in nassen Jahren, aber benachteiligt in den trockenen Jahren. 2015 waren die Böden in Deutschland so trocken wie seit 1961 nicht mehr, aber Theresa Breuer hat 2015 einen genialen „Berg Schlossberg“ mit einer gigantischen Strahlkraft erzeugt. Ich reiße mich jetzt zusammen, versuche, nicht gleich in den Keller zu rennen, und eine Flasche aufzuziehen. Schließlich: Diese Weine gibt es nicht an jeder Ecke…

Malerei:

Michael Apitz beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Darstellung berühmter Weinbergsagen. Der Künstler setzt dabei das "Terroir" in Acryl-Malerie um: Farben und Strukturen verweisen auf Geschmack und Art der Weine, die in diesen speziellen Weinbergen wachsen. Den Rüdesheimer Berg Schlossberg hat er schon in verschiedenen Ansichten und Farben gemalt.

www.apitz-art.de, www.apitz-gallery.de