Chenin Blanc ist eine der großartigsten Rebsorten der Welt. Nur interessiert das in Deutschland keinen und es scheint sogar, als habe sich selbst der Chenin damit abgefunden. Abgefunden, dass Horden selbstbesoffener Jung-Zecher auf Messen völligst humorfrei mit Riesling-Klebe-Tattoos rumlaufen und jede noch so mittelmäßige Brühe in sich reingießen und unisono blöken wie Schafe: Riesling! Riesling!
Selbstreferenzielles Trinken
Das offenbart, woran die Weinszene krankt: selbstreferenzielles Trinken – es ist eine einzige Bauchnabelschau. Nun ist die Welt aber rund und mit weiteren Rebsorten bestockt. Und zufälligerweise stammen einige der großartigsten Weißweine der Welt von der Loire und sind aus Chenin Blanc gekeltert. Zeit für ein Plädoyer.
Riesling mag jeder, Chenin Blanc hingegen muss man wollen. Doch kaum ein Händler will sich die Finger daran verbrennen, wenn das Zeug wie Blei in den Regalen liegt. Nachfragen tut kaum einer und aufschwatzen mag man sich ja auch nichts lassen.
Zeit für ein Plädoyer.
Dabei ist Chenin Blanc die Rebsorte der Loire, ihr häufigstes Synonym ist nicht ohne Grund Pineau de la Loire, die Traube der Loire. Es existieren über 80 verschiedene Namen, die allesamt Zeugnis über ihre lange Geschichte ablegen. 1496 wurde sie erstmals als Plant d’ Anjou erwähnt, seitdem ist die das sine qua non der mittleren Loire.
Aber warum ist das Interesse so gering? Was hat der Chenin verbrochen? Er hat sich weder wie Beaujolais Jahr für Jahr Anfang November in zu großen Mengen füllen lassen, um die Märkte zu fluten, noch wurde er wie billiger Lambrusco wortlos der Pizzalieferung beigelegt. Woran liegt’s also?
Der deutsche Markt sei halt schwierig, so die Meinung vieler Freunde und Bekannter. Dazu kommt, dass Loire-Weine wie alle herkunftsgeschützten Weine Frankreichs unter dem Namen ihrer Herkunft statt unter dem Namen der verwendeten Rebsorten vermarktet werden. Das kann eine einzelne Lage sein, ein Ort oder sich auf ein größeres Gebiet beziehen. Die Loire ist mit 70.000 Hektar Frankreichs drittgrößtes Weinbaugebiet (nach Bordeaux und der Rhône) und hat 40 verschiedene Herkunftsbezeichnungen (AOCs). Das macht es kniffelig für den deutschen Michel. Und ganz ehrlich, so richtig geschmeckt habe einem das auch nie.
Ein Selbstversuch:
Dabei ähnelt Chenin Blanc dem geliebten Riesling in so vielen Einzelheiten. Chenin Blanc kann, früh gelesen, großartige Zechweine ergeben. Man kann ihn reif lesen, trocken ausbauen, halbtrocken, restsüß, edelsüß und fast alles wahlweise mit oder ohne Botrytis. Seine hohe Säure wappnet ihn für lange Jahre der Flaschenreife und die diversen Böden, auf denen er gedeiht, verleihen ihm seine vielen unterschiedlichen Gesichter. Dazu kommt, dass die Loire neben der Champagne Frankreichs zweitgrößter Schaumweinproduzent mit Grundrebsorte Chenin Blanc ist.
Doch wie nähert man sich dieser unglaublich komplexen Vielfalt der verschiedenen Stile, Terroirs und Ausbauarten? Mit einem lang angelegten Selbstversuch.
Die Loire entlang trinken.
Mit einer Auswahl an bekannten, weniger bekannten, großen bis ganz großen Weinen habe ich mich vor die Landkarte gesetzt, um mich so die Loire entlang zu trinken. Viele Weine benötigten mehrere Tage Luft, bis sie mehr als ihre Skizzen preisgaben. Manchen knickten bald ein, manche brauchten etwas Anlauf, andere bäumten sich nach einer Woche nochmals richtig auf. Allesamt ergeben sie aber das Bild einer Landschaft, in der für lange Zeit die Könige lebten und zechten - zu Recht.
Vouvray
Ich trank von Ost nach West und begann 10 Kilometer flussaufwärts der östlichen Ortsgrenze von Tours mit dem ersten Highlight: Vouvray. Die knapp 2.000 Hektar große AOC Vouvray (seit 1936) ist die an Produktionsmenge größte Appellation der gesamten Loire, gefolgt von Anjou und der Côteaux-du-Layon. Es wird fast ausschließlich Chenin Blanc produziert, als Perlwein, Schaumwein (trocken und restsüß), trockener Stillwein sowie durch sämtliche Prädikate von sec über demi-sec zu moelleux. Wo Vouvray draufsteht, ist zu 100 % Chenin Blanc drin. Das gilt ebenso für Montlouis-sur-Loire und Savenniéres.
Berühmt ist Vouvray nicht allein durch seine Weine, sondern auch durch seine Weinkeller, die in den Tuff-Kalkstein geschlagen wurden. Die Rebanlagen liegen auf einem Plateau und sind südlich zum Fluss hin ausgerichtet. Knapp 300 Betriebe, verteilt auf acht Gemeinden, widmen sich hier dem Chenin Blanc. Dabei ist das Wetter im Vouvray der erste Kellermeister. Ist das Jahr kühl, geraten die Weine trocken und stützen sich auf den feinen Säurenerv. In warmen Jahren neigen sie zu der typischen, würzigen Gelbfrucht, die an vollreife Birnen, Quitten und manchmal an hellen Tabak erinnert. Ist es feucht im Herbst, gibt es auch edelsüße Spezialitäten, die in verschiedenen Durchgängen, auch trie genannt, gelesen werden. Überhaupt ist das Vouvray das Gebiet Frankreichs, in dem am spätesten gelesen wird, oft weit bis in den November hinein. Die Böden bestehen überwiegend aus Kalkstein, der unter mehr oder weniger dicken Lehmschichten liegt. Am Flussufer enthält der Boden mehr silex, d.h. Feuerstein und grünen Ton, was sich aromatisch in den Weinen widerspiegelt.
Untrennbar verbunden mit Vouvray ist das Weingut Huet. 42 Jahre lang war der 2002 verstorbene Gaston Huet nicht nur Bürgermeister des Ortes, sondern treibende Kraft bei der Gründung der gleichnamigen AOC. 1989 wurde auf der Domaine Huet die biodynamische Bewirtschaftung nach dem Vorbild Nicolas Jolys von Gaston Huets Schwiegersohn Noel Pinguet eingeführt und bis heute wird das Weingut nach diesen Vorgaben bewirtschaftet. Das Weingut durchlebte in den letzten 15 Jahren einige Veränderungen, die sich im Weinstil der Domaine glücklicherweise nicht niederschlugen.
Die Domaine Huet steht immer für große Weine. Brillant zeigte sich der 2009 Vouvray Petillant Brut Reserve, der im Juni 2016 auf dem Markt kam. Cremig, mit feinem Mousseux und ausladendem Körper, ist er ein perfektes Beispiel für die Größe der Schaumweine aus Vouvray. Seine Textur prädestiniert ihn als Wein zum Essen, der freilich auch als Aperitif getrunken werden kann, was aber eigentlich zu schade wäre. Schaumweine aus Vouvray sind übrigens die einzigen der gesamten Loire, die aus 100 % Chenin Blanc bestehen müssen.
Ihm folgt eine Flasche 2012 Le Mont Sec, der Paradelage von Huet. 2012 war ein kompliziertes und ertragsschwaches Jahr an der Loire. Trotz geringer Mengen kam ein blitzsauberer Wein auf die Flasche, der bereits früh zugänglich ist, aber auch noch weitere Jahre Flaschenreife vertragen kann. In der Nase sortentypisch und kristallklar, am Gaumen mit würzig-reifer Frucht und bissigem Säurenerv.
Saftige, gelbe Frucht.
Vouvrays sind definiert durch eine saftige, gelbe Frucht, die sich durch fast alle von mir verkosteten Weine zog. So war auch der 2015 Vouvray aus dem recht unbekannten Hause Champalou von Catherine und Didier Champalou stilistisch in der gelben Frucht geerdet. Sortentypisch und klar ist er ein sehr guter Einstieg in die Welt des Chenin.
Der Winzer François Chidaine sitzt zwar am anderen Loire-Ufer in Montlouis-sur-Loire, doch er bewirtschaftet auch einige Lagen in Vouvray. Sein auf Lehmboden gewachsener 2013 Les Argiles zeigt sich jugendlich-straff mit drahtiger Säure als geschmackliches Leitmotiv mit deutlichen Bitterstoffen, die der Maischestandzeit und dem Ausbau im Holz geschuldet sind. Ein Chenin der härteren Gangart, der förmlich über den Rachen peitscht.
Der 2014 Clos de la Bretonniere, einer Lage im Alleinbesitz von Jacky Blot, schmeckt dagegen völlig anders als alle seine Vorgänger, denn Blot und seine Weine sind radikal: Im Gegensatz zur bislang abgebildeten Gelbfruchtigkeit der Vouvrays sind seine Weine messerscharf und voller Vibration. Sie wachsen (ähnlich wie Huets Le Mont) bereits auf den Silex-Böden nahe des Ufers, die den Übergang zu Montlouis markieren, wo auch das Weingut liegt. Dazu liest Blot immer einen Tacken früher und befreit seine Weine so von jeglicher Frucht und zwingt den entdeckungslustigen Zecher förmlich zum Terroir.
In Montlouis-sur-Loire, gegenüber vom Vouvray, liegt die Domaine La Grange Tiphaine. Coralie und Damien Delecheneau produzieren am linken Loire-Ufer saftige Chenins, die von rauchiger Mineralität geprägt sind, denn der hohe Anteil an Silex bzw. Feuerstein der kargen Sandböden auf Kalkplateau schlägt sich stets auch aromatisch in den Weinen nieder. Ihr 2014 Clef de Sol ist cremig am Gaumen, dabei fest strukturiert mit sehr geringem Schluckwiderstand – Châpeau!
Saumur
Ich verlasse die Subregion Tourraine und öffne die ersten Flaschen aus dem Anjou-Saumur an der mittleren Loire, denn es braucht Platz im Kühlschrank. Die AOC Saumur ist nach gleichnamiger Stadt benannt und umfasst 36 Gemeinden sowie knapp 2.800 Hektar Rebfläche. Die Weine aus Saumur müssen zu mindestens 80 % aus Chenin Blanc bestehen, zulässig für die restlichen 20 % sind Chardonnay und Sauvignon Blanc, was das Geschmacksbild und das Mundgefühl jedoch erheblich beeinflussen kann. Allein die AOC Côtes de Saumur muss aus 100 % Chenin Blanc hergestellt werden. Beim Austrinken habe ich mich ausschließlich auf reinsortige Chenin Blancs beschränkt.
Landschaftlich reizvoll.
Landschaftlich ist Saumur reizvoll, oberhalb der Stadt liegt ein weiteres, riesiges Schloss aus weißem Kalkstein, die Gegend darum ist gesäumt von prall mit Wild gefüllten Wäldern. Die Berge um Saumur schützen das Gebiet vor Westwinden und es herrscht semi-kontinentales Klima mit höherer Temperatur-Amplitude als im Anjou. Die Böden in Saumur bestehen aus Tuff-Kalkstein, Kalkstein, Sand und Kies. Saumur-Weine dürfen auch unter dem Label Anjou verkauft werden. Umgekehrt klappt das allerdings nicht.
Der 2013 Clos de Guichaux aus einer Lage in Alleinbesitz der Domaine Guiberteau hat die Latte direkt sehr hoch gelegt. Der Wein glänzt durch 100 % Abwesenheit von Frucht oder auch nur der Absicht, charmant sein zu wollen. Hier wird niemand abgeholt, der nicht ausdrücklich mit will. Es bleibt nichts von der jovialen, gelben Fruchtigkeit der Vouvrays, stattdessen dominiert eine stahlig-vibrierende Säure, eine mundwässernde Salzigkeit und Noten nach Jod, Kräutern und Austernschalen. Der Wein ist knalltrocken, karg und sperrig, dabei mit einer unglaublichen druckvollen inneren Spannung, dass man meint, er würde gleich platzen am Gaumen – ein Chenin Blanc für Fortgeschrittene, der das Wesen der Saumur-Weine hier extrem reduziert abbildet.
Klar schmeckbar ist diese Typizität auch bei den Weinen von Antoine Sanzay. Sein Weingut liegt in Varrains, wo auch die legendäre Domaine Clos Rougeard liegt. Antoine Sanzay verfügt über beste Lagen, unter anderem die berühmten Poyeaux und Les Salles Martin. Der 2014 Les Salles Martin lässt bereits in der Nase keine Zweifel, dass man hier nichts zu kuscheln erwarten darf, auch Struktur und Mundgefühl sind seines Ausbaus geschuldet: Es handelt sich um einen Vin Naturel, auch wenn Sanzay das nicht gerne hören mag, zu oft würde unter dem Label braune Gemüsebrühe angeboten. Sanzays Weine dagegen haben eine unglaubliche Präzision und mineralische Finesse, die schnell nachschenken lässt. Das Holz ist spürbar doch gut integriert und am Gaumen kümmern sich Aromen von Quitten, Nüssen und Salz redlich um Publikumstauglichkeit. Geöffnet nach einem Tag im Kühlschrank überzeugt der Wein auch den letzten Zweifler. Die mageren mit Feuerstein und Kalk durchsetzten Tuffsteinböden sorgen für eine messerscharfe Mineralität, an der man sich durstig zechen kann.
Spannend zeigt sich der 2014 Chenin Blanc von Côme Isambert, einem Projekt des gleichnamigen Önologen. Da er keine eigenen Reben besitzt, kauft er diese zu. Die vier Produzenten seines Vertrauens sind jedoch alle bio-zertifiziert, einige arbeiten bereits nach biodynamischen Prinzipien. 2013 war sein erster Jahrgang, der getrunkene 2014 Saumur Blanc aus 100 % Chenin Blanc zeigte sich als der würzigste der bislang verkosteten Saumurs. Gewachsen auf Lehm-Kalkböden hat er die Saumur-typische Mineralität mit festem Biss und schlanker Frucht sowie superbem Trinkfluss.
Anjou
Flussabwärts, westlich ans Saumur grenzt das Anjou. Die Region mit der Hauptstadt Angers erstreckt sich von Ancenis bis zum Verlauf des Flusses Layon im Süden. Landschaftlich unterscheidet sich die Region bereits deutlich von Saumur, es gibt hier weniger Schlösser, dafür Windmühlen. Die Temperatur-Amplituden sind geringer als im Saumur oder Vouvray und sorgen für opulentere Weine. Das Anjou ist relativ trocken und umfasst 12.000 Hektar in gut 220 Gemeinden, in denen überwiegend große Mengen Rosé produziert werden – Weißweine werden nur auf rund 16 Prozent der Fläche angebaut.
Anjou-Weine sind auch für Laien klar von denen aus Saumur zu unterscheiden, denn die Reben wachsen hier nicht nur auf den typischen Kalksteinböden, sondern ebenfalls auf Schieferböden, allen voran der schwarze Anjou-Schiefer, aber auch grauer, roter und blauer Schiefer findet sich in der weitläufigen AOC. Haptische und aromatische Vergleiche mit Weinen, die an der Mittelmosel ebenfalls auf Schiefer wachsen, sind in diesem Falle nicht von der Hand zu weisen. Innerhalb der AOC Anjou liegen am rechten Loire-Ufer die AOC Savenniéres und am linken Ufer die AOC Côteaux-du-Layon. Innerhalb der Grenzen der Côteaux-du-Layon liegen die AOCs für die berühmten Süßweine der Loire, Quarts de Chaume und Bonnezeaux.
Im Herzen der AOC Coteaux-du-Layon in Thouarcé liegt die Domaine Ferme de la Sansonnière von Marc Angeli. Sein Wein La Lune wurde lange als Anjou vermarktet, bis Angeli 2006 aus Protest gegen die AOC-Bestimmungen auf hörte, seine Weine unter der Appellation zu vertreiben und sie zum Vin de France herab stufte. Zwar gibt es in Frankreich keine amtliche Prüfnummer, an der er hätte scheitern können, da die AOC-Bestimmungen seiner Ansicht nach eher quantifizieren als dass sie Qualitätsstandards sichern, lag diese Entscheidung für Angeli nahe. Der Name La Lune bezieht sich auf die halbmondförmige Lage, die ausschließlich mit Chenin Blanc bestockt ist. Ich öffne zwei unterschiedliche Jahrgänge La Lune als Auftakt der Anjou-Weine. 2013 zeigt sich fordernd mit deutlich höherer Botrytis und cremiger Textur, der 2014 mit klarer Frucht, prägnanter Mineralik und schlanker Kontur. Während der 2013 mit den typischen Noten von Honig, Quitten und Orangenschalen sofort sehr offen wirkt, ist der 2014er verschlossener und braucht zwei Tage, um zu sich zu finden.
Ebenfalls auf Schiefer und Vulkanböden gewachsen ist der 2012 Côteau des Treilles, ein lupenreiner Anjou von Pithon-Paille. Jo Pithon hat dieses Weingut 2008 nach seinem Ausstieg aus der Domaine Jo Pithon neu gegründet. Sein Ziel ist es, die unterschiedlichen Terroirs so präzise wie möglich auf die Flasche zu füllen und tatsächlich ist der Côteau des Treilles tiefgründig, wuchtig mit rauchiger Mineralik und zeigt sich eindeutig weniger Frucht- als Terroir-gesteuert.
Savennières
Von Angers führt die Autobahn in Richtung Nantes. An der Auffahrt Bouchemaine, wo Maine und Loire zusammenfließen, fährt man ab und folgt dem Verlauf der Loire nach Savennières. Die AOC umfasst nur knapp 120 Hektar in drei Gemeinden und existiert seit 1952. Wie im Vouvray und in Côteaux-du-Layon müssen die Weine von hier zu 100 % aus Chenin Blanc vinifiziert werden. Die Böden bestehen aus rotem Schiefer, rotem Sandstein sowie Vulkan- und Quarzsand.
Der bekannteste Winzer der Appellation ist unbestritten Nicolas Joly, dessen Weingut Château de la Roche aux Moines sowohl die gleichnamige Lage als auch die Monopollage Clos de la Coulée de Serrant umfasst. Beide besitzen eigenen AOC-Status und machen so Jolys Weingut zu einem von vier französischen Weingütern mit eigener AOC. Ich probiere die Jahrgänge 2013 und 2014 Clos de la Coulée de Serrant, die sich ähnlich wie im Anjou und Vouvray zeigen: 2013 hat mehr Botrytis, 2014 zeigt sich reintöniger in der Nase mit höherer Spannung am Gaumen sowie längere Perspektive im Keller. Die Weine des Savennières sind sehr lagerfähig und entwickeln mit zunehmender Reife die Savennières-typischen Noten von Nüssen, Honigwaben und kandierten Früchten.
Ein eher leiser Star der Appellation ist die Domaine des Baumard, ein Betrieb, der seit Jahren seine Region mit großer Präzision abbildet. Gelegen in der AOC Anjou, produziert die Domaine Chenin Blanc in den AOCs Savenniéres, Côteaux-du-Layon, Quarts des Chaume sowie einen Schaumwein in hinreißender Qualität: Der 2004 Tirage Cremant de Loire Brut hat eine Frische und Eleganz, dass sich die Flasche im Handumdrehen leert. Keinerlei Alterung überschattet die reintönig klare Aromatik, die nur einen Hauch Reife zeigt. Der 2010 Trie Speciale Savennières bezieht sich auf drei Lesevorgänge, die je nach Jahr Botrytis-frei und immer zwingend händisch eingeholt werden müssen. Der Wein scheint mit Süße zu prahlen, ist dabei aber knalltrocken und stellt selbst geübte Verkoster auf die Probe.
Eine Paradelage von Baumard ist der Clos du Papillon. Die Böden der Lage bestehen aus Vulkan- und Schiefergestein, der Lagen-Name ist abgeleitet von seiner Form, die vom anderen Loire-Ufer aus betrachtet wie ein Schmetterling aussieht. Die verkostete Flasche 2000 Clos du Papillon zeigt Chenin Blanc in Topform gereift, der sich über viele Tage in stetem Wechsel und äußerst stabil zeigt. In der AOC Côteau-du-Layon bewirtschaftet die Domaine des Baumard die Lage Clos de Sainte Catherine und liefert damit einen der großen Süßweine Frankreichs, der an Lagerfähigkeit nur vom Quarts de Chaume übertroffen wird. Diese Weine sind kaum bekannt, gehören aber mit zu den lagerfähigsten Weißweinen der Loire. Die geöffnete Flasche 2009 Clos de Sainte Catherine stand nach zwei Wochen immer noch wie eine Eins im Glas.
"Die Weine spiegeln auf ihre Weise ihre Herkunft wider, wenn man sich vorbehaltlos auf sie einlässt. „Chenin stinkt!“, sagte mein alter Chef immer. Wenn man die Nase aber ausschaltet, sieht man klarer. Es geht um die Haptik, das Mundgefühl, das einen packt."
Alle verkosteten Weine spiegeln auf ihre Weise ihre Herkunft wider, wenn man sich vorbehaltlos auf sie einlässt. „Chenin stinkt!“, sagte mein alter Chef immer. Wenn man die Nase aber ausschaltet, sieht man klarer. Der Hang, primär mit der Nase zu probieren, ist dabei nicht immer dienlich, da uns unbekannte Düfte oft automatisch abgelehnt werden. Und es geht nicht allein um den Duft, der flüchtig ist, sondern um die Haptik, das Mundgefühl, das einen packt und den Wein auf anderer Ebene erfahrbar macht. Denn ein Wein, der einen nicht packt oder haptisch nicht greifbar wird, kann kein guter Wein sein.
Am Gaumen hatten alle Weine ihre eigene Textur oder ihren Goût National, wie man in Frankreich sagt: Der Geschmack ihrer Herkunft, den grade Chenin Blanc wie eine Lupe zu fokussieren weiß. Sogar die Weine, die ohne AOC als Vin de France deklariert werden, sind immer Zeugnis ihrer Herkunft, sei es dank ihrer unterschiedlichen Böden oder dank der verschiedenen Handschriften ihrer Winzer.
Der 2012 Echalier von Bertin-Delatte aus Rablay-sur-Layon ist ein Vin Naturel und hat so gar nichts von dem, was man dieser Gattung gerne zuspricht. Trotzdem ist er meines Erachtens ein Wein, den man Chenin-Novizen als Einstieg einschenken, sollte, nein muss – als Benchmark der Rebe, eines Stils und seiner Herkunft.
Auch Richard Leroy aus demselben Ort deklariert seine Weine nicht als Côteaux-du-Layon, sondern als Vin de France. Die homöopathischen Mengen seiner Weine Les Noels de Montbenault und Les Rouliers, die den deutschen Markt erreichen, sind mehr als knapp und stets sofort ausverkauft. Chenin Blanc hat in Deutschland keine Tradition außer bei Liebhabern. Oder Sommeliers. Grund dafür ist vor allem die Tatsache, dass die Export-Zahlen der Loire-Weine weitaus geringer sind als die Mengen, die vor Ort getrunken werden. Chenin Blanc findet seine Zecher eher in Großbritannien, Belgien und Holland, die seit jeher eine frankophile Prägung haben. Riesling mag jeder, Chenin Blanc muss man also wirklich wollen. Und das bedeutet auch, dass man sich selbst drum kümmern muss. Aber das macht ja nichts, denn schließlich hören wir ja auch nicht nur die Musik, die im Radio läuft.