+++ PRO
Ein Strauß neuer Geschmäcker
Manfred Klimek über die letzten Tage der Naturweinszene und ihren großen Einfluss, den man erst spät erkennen wird. Mit ihr hat Wein ein neues Geschmacksbild bekommen.
Die Naturweinbewegung steht in Deutschland an einer Weggabelung. Das haben vor allem die Shitstormvorfälle und Beleidigungen rund um die RAW- Messe in Berlin und Hamburg gezeigt. Die kleine Naturweinszene trägt den Abdruck des großen gesellschaftlichen Ganzen in sich. Das macht sie tatsächlich einzigartig.
Teile der Szene haben sich jetzt „pegidalike“ in die antidemokratische Empörung begeben. Und das zum Teil mit unzweideutig faschistischen Lautmalereien. Die ganze Aufregung könnte auch daran liegen, dass Naturwein längst nicht der große Verkaufsschlager ist, der er zu sein scheint. Also muss man eine Welt beatmen, die die Winzer und Anhänger des Naturweins als verfolgte Gruppe darstellt.
Begleitend muss man die Kritiker der Naturweinbewegung mit Lügen und Unterstellungen diffamieren. Und wenn sie Journalisten sind, als Lügenpresse ausmachen. Diese Vertreter der Naturweinbewegung agieren wie die Pegida, die österreichische FPÖ oder der französische Front-National: Sie konstruieren ein Bild der „Altparteien“ (Winzer, Händler und Journalisten, die sich dagegenstellen), diffamieren die kritischen Medien und sehen sich im Einklang mit der Natur, die alles regelt. Das ist jener darwinistische Faschismus, dem die Nazis anhingen.
Diese Leute machen die Naturweinbewegung zu einer faschistischen Posse. Und das müssen die Naturweinwinzer schleunigst verhindern. Denn die haben damit ja nichts am Hut.
Es ist gut, dass es Naturweine gibt! Diese Aussage in einem meiner Texte zu lesen, mag verwundern. Aber es ist meine aufrichtige Meinung. Die Naturweinbewegung wird in einigen Jahren als jene Bewegung erinnert werden, die den Weinbau der Welt maßgeblich verändert hat. Von ihr wird mehr bleiben als von der viel beachteten, ethisch korrekten Nordic Cuisine. Einzig die Craft-Beer-Szene wird länger leben, wahrscheinlich sogar überleben. Das liegt vor allem daran, dass fast alle Craft Biere schmecken – was man höchstens von 20 Prozent aller Naturweine sagen kann.
Wenn die Naturweinszene immer noch 80 Prozent Schrottweine produziert, warum sollte sie dann so wichtig und bedeutend sein? Ganz einfach: Viele sehr gut gemachte Naturweine haben unsere Geschmacksvorstellungen von Wein tatsächlich erheblich erweitert. Gute Naturweine bringen etwas mit, was sie reichhaltiger, vollmundiger, vielschichtiger und interessanter macht. Erinnert uns das an etwas? Richtig! Bei der Spontanvergärung vor 20 Jahren war es ähnlich, auch damals offenbarte sich ein neues Geschmacksbild, das heute als durchgesetzt gelten kann. Wenn man will, ist die Naturweinszene nur die logische Fortsetzung der Spontanvergärungs-Bewegung.
Es ist aber leider so, dass nur sehr wenige Winzer wissen, wie guter Naturwein gekeltert wird. Ohne auf den Wein Einfluss zu nehmen, wird das nicht möglich sein. Guter Naturwein lässt die Frucht wirken, die Sorte am Leben und kippt bei der Würze nicht in Richtung Gemüsesuppe.
Die Naturweinbewegung hat mit ihren neuen Geschmackskomponenten und der archaischen Sicht alle Extreme ausgereizt, die auszureizen waren. Nach der Naturweinszene, die ich jetzt schon für Vergangenheit halte, wird eine rundum erneuerte Bioweinszene viele Anleihen der Naturweinszene weiterlaufen lassen. Und viele biodynamische Winzer werden beide Welten zusammenbringen und sich der religiösen Fanatiker entledigen – dieser unsäglichen Weintaliban. Wer sich bei Naturwein auf die Natur verlässt, der ist verlassen. Das ist die Lehre, die bleiben wird. Dazu noch ein Strauß neuer Geschmäcker, aus welchen man neue, kleine Sträuße binden wird. Kann ein Nachruf besser sein?
+++ CONTRA
Wir müssen eine Diskussion über Technik führen
Der Nürnberger Weinhändler Martin Kössler über die technischen Mängel vieler Naturweine und deren gesundheitliche Bedenken.
Die Natur im Wein. Sie beschäftigt mich als ehemaligen Naturwissenschaftler, seit ich Weinhändler bin. Heute steht für mich fest, dass es Wein wohl kaum gäbe, wäre er wirklich „nur“ Natur. Es ist seine jahrtausendealte Geschichte, die ihn zu dem wertvollen Kulturgut gemacht hat, das er sein kann.
Weil der neue „Naturwein“ als weltweit gefragter Trend unsere Wahrnehmung von Wein auf der Basis tradierter und trainierter Konventionen und vermeintlich objektiver Fehlerfindung grundsätzlich infrage stellt, darf eine Diskussion um sein Für oder Wider nicht nur über die Bewertung seines Geschmacks geführt werden, sie muss vielmehr auch technisch begründet sein.
Das beginnt bei seiner unbeirrt reklamierten Bekömmlichkeit. Sie ist Vorspiegelung falscher Tatsachen. Seine Vergärung mittels wilder, natürlich vorkommender Hefen kann, wenn die Trauben im Weinberg unter Stress litten und nicht kerngesund verarbeitet wurden, Nebenprodukte bilden, die alles andere als „gesund“ sind. Mangelnde Hygiene, mikrobiologische und chemische Vorgänge während und nach der Gärung, sowie diverse Bakterien können bei gleichzeitigem Verzicht auf Schwefel z. B. das unerwünschte Achtaldehyd zur Folge haben, das u.a. für den „Kater danach“ verantwortlich ist. Man erkennt es am sogenannten „Luftton“, der an Sherry erinnert. Bereits geringe Mengen sollen das Krebsrisiko erhöhen.
Viele Naturweinwinzer sind der Ideologie der Nicht-Schwefelung verfallen. Sie missachten damit die Mikrobiologie. Ein zu hoher pH-Wert, also zu niedrige Säure, kann in Verbindung mit dem biologischen Säureabbau erhöhte Gehalte an biogenen Aminen zur Folge haben, deren Nebenwirkungen von Hautrötungen und migräneartigem Kopfschmerz bis zu Atembeschwerden reichen können.
Kennen Sie das an Nagellackentferner erinnernde Ethyl-Acetat? Kleine Mengen können aromatisch spannend sein, größere verwandeln Wein in Essig. Zu viel Sauerstoff während und nach der Gärung (also zu wenig Schwefel), vor allem aber faules Lesegut, sind die Ursache für diese flüchtige Säure.
Die Grande Dame des Naturweines, Isabelle Legeron, hält Naturweine für „die einzigen Weine, die in der Lage sind, das Terroir auszudrücken und die uns durch ihre Authentizität, Lebendigkeit und Emotionen mit dem Terroir verbinden“. Das widerlegt jeder nach oxidierten Apfelschalen, schalem Bier und Apfelmost riechende Naturwein, der weder seine Rebsorte noch seine Herkunft offenbart, sondern ausschließlich den Einfluss seiner „natürlichen“ Machart.
Die meist ideologisch geführte Diskussion der Naturweingemeinde, man müsse nur seinen geschmacklichen Horizont erweitern, um Naturweine zu verstehen, führt deshalb in die Irre. Weine, die undefinierbar, ungenießbar oder unbekömmlich sind, bleiben uninteressant oder fehlerhaft, auch wenn die Natur sie verunstaltet hat und nicht der Mensch.
Und dass es ohne „Bio“ keine „Natur im Wein“ gibt, sollte schließlich selbstverständlich sein. Trotzdem gibt es in der Naturweinszene Winzer, die behaupten „Bio“ zu sein, ohne zertifiziert zu sein. Wir brauchen Transparenz. Nur wer als Winzer in humaner Dimension nachweislich die jahrhunderte-alte Kultur des Weines in An- und Ausbau respektvoll praktiziert, sollte die Natur im Wein für sich beanspruchen dürfen.