Die Erinnerung trügt. Sind es zehn Jahre? Sind es mehr? Wann hat die Cordobar aufgesperrt? Oder war sie immer schon da? Jetzt ist sie zu. Jetzt ist sie weg. Gab es vor ihr einen solchen Hype um Wein wie heute? Sicher nicht in dieser Art. Sicher nicht mit diesen Menschen.
Initialzündung einer neuen Weinkultur
Die Cordobar war die Initialzündung einer neuen Wein- und Sommelierkultur und diese Initialzündung konnte nur in Berlin stattfinden, dort, wo man Konventionen andauernd über den Haufen schmeißt, weil man diese gar nicht kennt. Die Cordobar war vor fünf Jahren der erste Ort in Europa, wo das gehobene, individuelle Weintrinken mit der hier seit Anfang der Neunzigerjahre massiv präsenten und weltweit singulärer Bar- und Clubkultur auf eine Ebene gehoben wurde. Und sie war der erste Ort, an dem man sich mit vielen teuren Flasche Wein ungehemmt bis vier Uhr früh besaufen konnte. Ja! Nicht nur Genusstrinken! Sondern richtig besaufen! So lange man den Wohnungsschlüssel noch fand und dem Taxilenker die Adresse sagen konnte.
Die Cordobar war ein Wesen und man muss sagen, dass der Anfang dieses Jahres abgegangene Barchef Willi Schlögl, ein Steirer, die Seele dieses Wesens stellte. Am Schluss seines Tuns fiel er der Intensität der an ihn gestellten Ansprüche zum Opfer. Auch das ist Berlin. Schlögl ging Anfang des Jahres ohne sich umzudrehen. Auch drehte sich keiner nach ihm um. Doch ohne Schlögl fehlte der Sound. Ohne Schlögl fehlt der Zampano, der Clown dieses Zirkus, fehlt sein steirisches Bellen, das man erst nach etwas Einüben als Deutsch festmachen kann. Ohne Schlögl wurde es gesetzt – der junge, konservative, österreichische Kanzler kam, der, der mit den Rechtsextremen koaliert. Und er nahm Jens Spahn mit. Beide saßen am Fenster, man sollte sie sehen, sie wollten hip sein. Doch Schlögl war nicht mehr da.
Wäre Schlögl dagewesen, hätten sich die beiden nie reingetraut. Und weil mit Schlögl so viel verbunden war, weil das auch Christof Ellinghaus, der hauptsächliche Investor der Cordobar, wusste, weil das alles vorbei ist, ist es jetzt vorbei.
Ellinghaus wusste, dass Wein Pop braucht
Die Antwort: Es waren ziemlich exakt fünf Jahre. Von 2013 bis 2018. Und jedem, absolut jedem kommt es viel länger vor. Das hat den einfachen Grund, dass die Abende und Nächte so dicht waren, so kompakt, so voll mit Leben. Die Cordobar war ein Herz, eine Pumpe. Und was schlägt jetzt? Wie immer nach Ende Legende erstmal nichts mehr. Dann kommt Schlögl back. In aller Freundschaft.
Das zweite Serviceteam war das legendärste, als Schlögl mit seinem Schatten Stefan Grabler, genannt „die Steffi“, und den zwei Mädchen Maxi und Mandy den Laden wuppten. Das war die Zeit, in der überlegt wurde, einen Türsteher anzuschaffen. Das war die Zeit, in der sich Barely-Legals am Eingang drängten und „die Steffi“ bei jenen den größeren Riss machte als „der Willi“ - einsam ist keiner der beiden nach Hause gegangen. Sie hatten es auch nicht weit, denn die Wohnung der Beiden lag nur ein Obergeschoß höher, direkt über dem Lokal. Dort pennte wer blieb auf einem alten, roten Stoffsofa. Oder auf dem Boden. Aus der Wohnung wurde vor drei Jahren ein Veranstaltungsraum gemacht: Gediegen schön und auch mit ein bisschen notwendiger Avantgarde. Diese Umwidmung war der eigentliche Beginn vom Ende.
Der Grund, am Wochenende nach Berlin zu fahren
Die Cordobar war auch immer ein erstaunlich gutes Esslokal. Aber als Lukas Mraz in der Küche stand (2013-2016) kam das Essen einem Michelinstern verdammt nahe; nein, Mraz erreichte diesen sogar lässig, doch der Michelin gibt keinem Lokal mit solchen Toiletten einen Stern. Da kann das Essen, können die Kreationen noch so gut und ausgefallen sein. Wenn das Klo keine Stoffhandtücher hat: vergiss es!
Lukas Mraz hat es vergessen und ist dann auch wieder nach Wien zurück, in das Lokal seines Vaters, dass den Nachnahmen der Familie trägt. Kaum war Lukas wieder beim Vater in der Küche, kriegte der auch gleich den zweiten Stern. Wer mal in Wien ist: unbedingt vorbeischauen. Günstiger wird man auf diesem Niveau nirgendwo in der Stadt essen.
Das Publikum der Cordobar bestand aus Naturwein-Hipstern, Dedicated Followern of Szene, Weinjournalistengesindel, Weinbloggerngesindel, Winzern und gastronomischem Personal (letztere beide waren nach 24h die lautstarke und trinkfreudige Mehrheit). Und ja, wie schon erwähnt, die Groupies. Denn irgendwer musste ja auf den Tischen tanzen und die beiden sexy Steirerbuam anbeten.
Für viele junge deutsche Winzer (und auch für nicht wenige um die 50) war die Cordobar der Grund, am Wochenende nach Berlin zu fahren. Und sie war der Anlass, warum sich ein paar Veranstaltungen in Berlin niederließen, anstatt in Hamburg oder Frankfurt aufzuschlagen. Die Cordobar war das Lokal, das Deutschlands Weinszene gefehlt hatte. Und man darf fragen, ob es vor der Cordobar so etwas wie eine Weinszene überhaupt gegeben hat. Ich erinnere mich nur an stinklangweilige Weinforen mit überheblichen Wichtigtuern, die Wein besprachen, als sei dieser ein Teil der Maschinenbauindustrie. Und an Vinotheken mit Schnarchsarggarantie. Und an Weinblogger, die schon so früh mit dem Weinbloggen angefangen hatten, dass es, als sie anfingen, das Internet noch gar nicht gab. Dementsprechend alt waren diese Leute. Und dementsprechend Scheiße sahen ihre Blogs aus. Und dann gab (gibt) es die Weinzeitschriften. Da will ich jetzt nichts zu sagen. Aber eines: Die ganze Weinszene vor 2013, vor der Cordobar, war eine Angelegenheit von langweiligen, alten Leuten. Und mit diesen Leuten wollte die Cordobar nichts zu tun haben. Nie und nimmer. Sie hielt Abstand. Und wurde von den Arrivierten verlacht. Trotz eines Gerhard Retter – einer der anerkannt besten Sommeliers Deutschlands – am Bord. Aber es war egal, was Hamburger Weinblogger in ihren todgeweihten Weinblogs ihren Quartalstrinkern erzählen: die Zeit des Alten war abgelaufen.
Die Cordobar war, wie schon eingangs angerissen, die Idee des Weinenthusiasten Christof Ellinghaus. Und der hatte mit Popbands wie Arcade Fire und Lambchop sein Geld gemacht. Ellinghaus, der wie ein deutscher Rittmeister aussehen würde, wenn man ihn in eine Paradeuniform zwängen könnte; Ellinghaus weiß, was Pop ist. Und er wusste, dass Wein Pop braucht. Nun hat der das getan, was guten Pop auszeichnet: er hat das Endliche eingefädelt, weil guter Pop immer endlich ist. Deswegen sind die Stones ja auch so Scheiße.
Ende Legende.
Und ein Letztes: Dieses Heft hier würde es ohne die Cordobar nicht geben, denn ohne Cordobar hätte die Szene sich nicht derart immens verbreitert und wäre nicht auffällig geworden. Heute hat es viele Cordobars in ganz Deutschland. Und sie sind alle ein klein bisschen unterschiedlich. So soll es auch sein. Der Kaiser ist tot, die Prinzen leben.
Adieu!