In einem anständigen bayrischen oder österreichischen Wirtshaus sagt man es so: „Aus einer guten Rindssuppe müssen mehr Augen herausschauen als hineinschauen.“ Das Fettauge als Qualitätsmerkmal. Und doch ist Fett seit einem halben Jahrhundert auf der Shitlist der Diätberater. Butter und Knusperschwartl haben die Modelindustrie und der Hausarzt den Kampf angesagt.

Aus einer guten Rindssuppe müssen mehr Augen heraus- als hineinschauen.

Doch das Fett weiß: „Ohne mich kommt ihr Menschen nicht aus. Denn eure Geschmacksknospen brauchen mich.“

An unterschiedlichsten Punkten der alkoholischen Wertschöpfungskette spielen Fette eine entscheidende Rolle: ätherische Öle, Lipide und Konsorten. Auch als bewusst eingesetzte Ingredienz beim Mischen kontemporärer Drink-Kreationen erfährt Fett neue Aufmerksamkeit. Nach wie vor gilt die alte Wahrheit, dass sich

„Öl und Wasser nicht mischen“ – der Polarität der beiden Flüssigkeiten geschuldet. Beide mögen sich nicht wirklich. Erwirkt man mittels Tensiden, vulgär Emulgatoren, eine Herabsetzung der Grenzflächenspannung, lassen sich die sturen Antagonisten zu einer Emulsion verbinden. Eine Zweckehe. Was die Küche in fundamentale Köstlichkeiten wie montierte Saucen, herrlich komplexe Jus und Mayonnaisen übersetzt, kann der Bartender auch.


Mit Fett mixen. Grundsätzlich zeigt sich hier einmal mehr, dass die Herd- und Tresenprofessionen viel enger beieinanderliegen, als das im heutigen Gastronomiekosmos gelebt wird.

Von wenigen Pionieren abgesehen, haben die wenigsten Spitzenköche und Sommeliers die außergewöhnlichen Potenziale verstanden, welche die Getränkevielfalt anbietet.

Die Barkultur kommt erst langsam vom Nischenthema in den Mainstream. Doch sie kommt.

Dem Fett steht ebenfalls ein Comeback bevor. Jetzt ist für die Ernährungswissenschaftler wieder der Zucker der Böse. Und es dürfen wieder Butter und Öl sein. Die schwindende Ächtung von Fett ist gut für die Vielfalt am Bartresen. Die Alchemisten unter den Bar-Avantgardisten arbeiten gekonnt mit dem Ölig-Cremigen.

Der älteste, für Spezialisten schon banal gewordene Auftritt des Öles ist die einfache Zitruszeste. Mit Bedacht zieht der Bartender die Schale von Orangen, Zitronen und Grapefruits. Er presst sie sanft über dem Glas aus, streicht vorsichtig über die flüssige Kreszenz, die durch die ätherischen Öle völlig neue Qualität und Lebendigkeit erfährt. Die zart dispersierten Tröpfchen auf der Oberfläche erzählen von den wertvollen Ölen, die den Drink benetzen.

Sie geben dem Drink eine Anmutung von duftiger Leichtigkeit, Frische, Komplexität. Ein Manhattan wird für ein paar Sekunden zum Frühstücksgetränk. Eine Variante wäre, mittels Zerstäuber einen feinen Ölfilm aufzubringen. Wer noch prominenter verfahren möchte, appliziert tropfenweise Akzente auf dem Getränk mit Pipette oder Dash Bottle. Wir sind mittendrin im Vokabular und Baukasten der Bartender. Ein klassischer Martini-Cocktail erfährt im Dialog mit charaktervollem Olivenöl gänzlich neue Dimensionen, ein betörendes Duftbild, eine Andeutung von herbem Grün. Mit jedem Schluck benetzt der weiche Schmelz Lippen und Zunge, ein spannungsgeladener Kontrast zu dem eiskalt gerührten, crispen Drink darunter. Ein einzigartiges Gesamterlebnis, dem der Drink seinen Ruhm verdankt, der seit der Wiederentdeckung des Gins neuen Schub bekommen hat.

Ohne Fett kommt kaum ein gutes Essen aus, und auch kaum ein guter Drink.

Kräftige Öle wie Sesam, Leindotter oder Kürbiskern sind ihrerseits Charakterköpfe. Sie können markante Kontrapunkte setzen, eine Kreation aromatisch in andere Sphären katapultieren. Klotzen statt kleckern, Korianderöl zum Tequila, eine Umami-Parade aus Sake, Miso-Paste und gedörrten Shiitake mit einem Farbklecks Sesamöl kunstfertig vollendet.

Geht es noch weiter? Aber sicher. Mit für die Bar völlig artfremd tönenden Zutaten wie Grammelschmalz, Rindernierenfett, sowie Ausgelassenem von der Barbarie-Entenbrust, Foie Gras oder einem herzhaften Lammkrustl. Dass sich damit ebenso fantastische Highlights setzen lassen, eine Komposition mit ungeahnten Wohlklängen zu bereichern vermögen, sei tunlichst hervorgestrichen. Aus Mozart wird Mahler. Damit nicht Musikantenstadl draus wird, dafür muss der Komponist hinterm Tresen sorgen. Vorsicht, bitte! Ein guter Drink ist kein Wiener Schnitzel. Wer im Physikunterricht geschlafen hat (wer hat das nicht?), lernt es später: Um Öl und Wasser, aus dem ja die meisten Cocktails bestehen, zu mischen, bedarf es mehr als des guten Zuredens. Lecithin kann helfen. Der Stoff ist in den Zellmembranen unseres Hirns enthalten, aber auch in Eiern. Die kommen in Sours, eine Drinkkategorie, die durch ihr wolkiges Aussehen ebenso auffällt wie durch ihr säuerlich-süß-umamiartiges Aromaspiel.

Jetzt etwas Olivenöl ins geschlagene Eiweiß, das fällt erstens nicht auf, verbreitert das geschmackliche Spektrum des Sours. Und wir haben es geschafft, die Gegnerschaft zwischen Wasser und Öl zu überwinden. Etwas Eiklar als UNO-Friedensprojekt. Auch Schlagobers und Milch tun das Ihre zur Beseitigung des Antagonismus zwischen Wasser und Fett. Sie stehen an jeder Bar in der Abteilung Grundausrüstung. Was die Molekularköche konnten, können die Bartender auch: Mit Sojalecithin oder einer Mischung aus Gummi Arabicum und Xanthan lassen sich nachgerade perfekte Resultate erzielen. So schwimmt das Fettauge nicht bloß auf dem Drink, sondern verleiht ihm Seidigkeit und Fülle.

Der gewiefte Mixologe denkt weiter: Enfleurage und Fat Washing. Erstere Technik kennen wir alle aus der Herstellung von Parfums. Die ätherischen Öle von Blüten werden in Fett ausgewaschen, doch der Bartender dreht den Spieß um, wenn er die Aromen des Fettes von Alkohol absorbieren lässt: Eine Pfanne oder ein ähnliches Gefäß werden mit dem Fett (Erdnussbutter, Schmalz) ausgestrichen.


Der Alkohol wird darübergegossen. Er dient hierbei als Lösungsmittel und entzieht dem aromatischen Fett wertvolle Duft- und Geschmacksnoten. Danach zieht man die Spirituose ab, mittels Kaffeefilter werden feinste Schwebstoffe entfernt.

Erdnussbutter zum Bourbon? Schweineschmalz zum Zwetschkenbrand? Lediglich die eigene Vorstellungskraft zieht hier die Grenzen des Machbaren.

Ähnlich verläuft der Prozess des Fat Washings, jedoch greift man dabei vornehmlich auf flüssige oder verflüssigte Fette zurück. Beurre noisette, in Butterschmalz geschwenkte Samen oder Nüsse, Gänsefett oder ausgelassene Blutwurst, all dies kann mit beliebigen Spirituosen vermengt und zu delikaten Cocktails fertig komponiert werden. Über mehrere Stunden schüttelt der Barheimwerker die Mischung regelmäßig auf, stets trennt sich die ölige erneut von der alkoholischen Phase. Hatte die Spirituose genug Zeit, dem Fett seine köstlichen Aromanoten zu klauen, stellt man das Gemenge ins Tiefkühlfach, sodass die Fettschicht friert und der darunter befindliche, flüssige Alkohol leicht abgegossen werden kann.

Während die Enfleurage noch als nischiges Spezialistenprogramm tituliert werden muss, ist Fat Washing eine weitläufig verbreitete Methode. Immer gilt aber: Ohne Fett kommt kaum ein gutes Essen aus, und auch kaum ein guter Drink.