Es herrscht ein reges Treiben am Hafen von Bordeaux. Unzählige mit einem Hahn gebrandmarkte Weinfässer werden von den Schiffen geladen. „Ein Fass fehlt! Es sind nur 39!“, schreit ein Mann. „Der Gouverneur von Bordeaux, der Herzog von Epernon, hat 40 Fässer Vin de Coq bestellt. Wir sind dem Galgen ausgeliefert, wenn wir diese nicht vollzählig liefern!“, antwortet ein anderer mit panischer Stimme. „Komm, kaufe von dem gen Süden fahrendem Schiff ein leeres Fass und besorge genug Vin de Bordeaux, um die Fässer aufzufüllen. Es bleibt für uns zu hoffen, dass es nicht auffällt!“ Wir schreiben das Jahr 1607. Und der Dialog am Hafen mag sich so oder anders zugetragen haben, eines ist jedenfalls klar: Der Vin de Coq war der Pétrus, La Tour und Mouton Rothschild jener Zeit. Die damals blassroten, Clairet genannten Weinchen aus Bordeaux waren – außer für die Engländer – mehr als belanglos und nicht der Rede wert.

Die kräftigen, dunklen und langlebigen Rotweine des südwestfranzösischen Haut-Pays in der Gascogne – allen voran die Vins de Coq der Region Gaillac – gehörten dagegen zwischen dem 13. und 17. Jahrhundert zu den angesehenen Weinen Europas. Sie teilten sich die Macht im Fass und im Krug mit den Weinen von Hermitage und der Côte-Rôtie und gehörten zu den drei Grands-Crus-Regionen des römischen Galliens: allen voran das heutige Gaillac, aber auch Cahors und Bergerac – lange vor Burgund und Bordeaux. Das Wort „Gaillac“ stammt aus dem Keltischen: „Gallad“, „fruchtbares Land zwischen zwei Anhöhen“.

Erstes Weingesetz der Welt

Der Konsul von Gaillac und Rabastens war sich der Qualitäten der Weine seines Landstrichs bewusst und ließ 1221 erstmals ein Leitbild für gute Weinbau-Praktiken erstellen – von der Auswahl des Holzes für die Fässer angefangen bis hin zum Datum der Weinlese. Das war der Beginn des rasanten Aufstiegs der Weine des Gaillac.

Der Hahn war erstes vinophiles Markenzeichen

Um die Vins de Coq vor Fälschungen zu schützen, stellten die Grafen von Toulouse dann eine Reihe von appellationsähnlichen Regeln für die Weinherstellung auf und so wurde der Hahn das erste Markenzeichen in der Geschichte des Weins. Erstmals im Jahre1387 verwendet, tauchte der Begriff Vins de Marque zum ersten Mal mit Bezug zu Weinen aus dem Gaillac in einem Brief von König Louis XI. 1466 auf. 1500 sorgte ein Gesetz in Absprache mit Bordeaux sogar dafür, dass von nun an alle Weine mit Angaben zu ihrer Herkunft versehen sein müssen. Das war die Geburtsstunde des Weingesetzes.

Gleich drei Kontrollbehörden achteten auf die Integrität der Marke: Das Markenamt übernahm die Kontrolle der Weinlese, die regionalen Kommissare kontrollierten die abgefüllten Weinmengen, und die Händler mithilfe ihrer Handelsbücher die tatsächlich verschifften Weinmengen.

Qualitätsprüfungen und ein paar seltsame Regeln

Die örtlichen Konsuln hatten das Recht, Tag und Nacht Keller, Weinlager und Weinstuben zu überprüfen. Im Falle eines Zweifels über einen eventuellen Verschnitt, der die Reinheit und Qualität des Vin de Coq bedrohte, wurde jeder Wein von vereidigten Verkostern begutachtet und analysiert. Zahlreiche kuriose Gesetze sollten die wertvollen Reben schützen: Während der Traubenreife und Lese wurde beispielsweise die Jagd mit Hunden mit einer Geldstrafe belegt. Die besten Weinberge wurden mancherorts dauerhaft überwacht. Auf Mist und Dung in den Reben sei zu verzichten – doch Taubenkot sei das Mittel der Wahl. Traubendiebe wurden öffentlich gedemütigt und bis zu zehn Jahre aus der Stadt verbannt.

Die Weine des Haut-Pays wurden verehrt

Die Besonderheiten und allen voran die Hochwertigkeit der Vins de Coq sprachen sich schnell herum und grenzten die Weine klar von der regionalen Konkurrenz ab. Den Absatzmarkt sah man jedoch in der weiten Welt – rund die Hälfte der gesamten Produktion sollte im Ausland verkauft werden. Vor allem bei den Engländern fand man gute Kunden.

Schillernde Persönlichkeiten des Spätmittelalters wie die englischen Könige Richard III. oder Henry VIII. Tudor, berühmt-berüchtigt für seinen Frauen- und Weinverschleiß, waren den Weinen des Haut-Pays verfallen. Dass sie auch reichlich Vins de Coq konsumierten, ist belegt, was perfekt ins Bild von Männern passte, denen ihr Status immens wichtig war.

Der Wein des Hahns als Wein der Reichen und Mächtigen

Denn die Hahnenweine waren nicht nur gut, sondern auch teuer. Die Crus Tarnais, wie man sie aufgrund ihres Flusses auch nannte, wurden in Holzfässern, welche mit dem Brandzeichen des Hahns versehen waren, in alle Welt verschifft. Während ihrer Reise in den Holzfässern wurden diese Weine immer besser, in Anbetracht der langen Transportwege zur damaligenZeit eine herausragende Eigenschaft. Handelsbelege dokumentieren, dass die Rotweine stattliche 200 Livres pro Fass kosteten – so viel wie die wenigen guten Graves-Weine, allen voran Château Haut-Brion. Sie durften sich somit zu den teuersten Weinen überhaupt zählen. Der Transport der Vins de Coq ging stets über den Hafen La Rochelle von Bordeaux, sodass dort die Kaufleute schnell reich und mächtig wurden.

Urbarmachung & Rebkultivierung von Bordeaux

Doch die Bordelaiser Bourgeoisie und ihre Weinbauern wollten an dem Erfolg der Winzer aus dem Südwesten teilhaben, diesen am liebsten für sich alleine beanspruchen – schließlich lagen sie ja direkt in Hafennähe. So beschloss das Parlament in Bordeaux, die eigenen Weinquellen immer mehr zu schützen.

Die Weingegend Bordeaux bestand im Wesentlichen nur aus den Regionen Graves und Entre-Deux-Mers. Das Médoc, die Landzunge nördlich der Stadt Bordeaux zwischen dem Atlantik und der Gironde, hatte bis in das 17. Jahrhundert nur lokale Bedeutung. Das einstige Schwemm- und Sumpfland schien kaum prädestiniert für den Weinbau. Vereinzelte Rebstöcke waren meist Teil der gemischten Landwirtschaft im Médoc sauvage et solitaire. Der Anstoß, dies zu ändern, kam aus dem Süden der Weinhandelsmetropole: von dem wohlhabenden und einflussreichen Präsidentendes Parlaments Arnaud de Pontac und seinem Haut-Brion in Graves-Pressac. Seine außergewöhnlich guten und für die damalige Zeit auffällig dunklen Weine vermarktete er vor allem in England als Ho Bryan sehr erfolgreich. Dies kann als Geburt der Grands Crus de Bordeaux und als Startschuss ihrer Karriere betrachtet werden.

Eifersucht der Winzer in Bordeaux

Ohne seinen Hafen, der zu dieser Zeit einer der wichtigsten Handelsplätze Europas war, würde es den Bordeaux-Wein so nicht geben. Die Stadt wuchs rasch und war voller weindurstiger Menschen und gelddurstiger Händler, die mehr und mehr Wein kaufen wollten, um ihn gewinnbringend ins Ausland zu verkaufen.

Durst auf Wein und Reichtum

Ende des 17. Jahrhunderts fingen immer mehr unternehmerisch denkende Parlamentarier und das wohlhabende Bordelaiser Bürgertum an, Pontacs Château-System zu kopieren: Sie kauften dem alten Adel Ländereien nördlich von Bordeaux ab, ließen das Sumpfland des heutigen Médocs von holländischen Ingenieuren und Wasserbauern trocken legen und mit Reben bestocken. Diese Urbarmachung und Rebkultivierung dieses Landstrichs war ein gigantisches Unterfangen. Dank der Investitionen der Bordelaiser Oberschicht wurde die gesamte Halbinsel am linken Gironde-Ufer zu dem heute bekannten Rebland – sehr zum Nachteil der Winzer im Südwesten weiter flussabwärts, die durch den rapiden Ausbau immer mehr verdrängt wurden.

"Die Bordelaiser heckten ständig Pläne aus, wie sie der Konkurrenz im Süden das Leben schwer machen konnten. Ihre geografische Lage, sprich: der Zugang zum Atlantik, spielte ihnen in die Hände."

Der Riese Bordeaux hebt sein Haupt

Die Bordelaiser wollten den Weinhandel für sich alleine beanspruchen und so beschloss das Parlament in Bordeaux, die eigenen Weinquellen zu schützen. Es erwirkte, dass der englische König 1325 der Stadt Bordeaux das Recht zugestand, den Weinversand über ihren Hafen selbst zu regeln. Nun legten Verschiffungsvorschriften, die sogenannten Privilegien von Bordeaux, die Konkurrenz erstmals lahm. Das Haut-Pays beschwerte sich umgehend beim König von England, der auch im Besitz dieser Region war. Da er auch daran interessiert war, sich die Loyalität seiner Untertanen hier nicht zu verscherzen, verfügte er darüber, dass die Weine auf dem Landweg über Bergerac zur Gironde und von dort aus wiedersüdlich nach Bordeaux gebracht werden durften. Das schmeckte den Kaufleuten von Bordeaux freilich nicht sehr gut. Sie heckten ständig Pläne aus, wie sie der Konkurrenz im Süden das Leben schwer machen konnten. Ihre geografische Lage, sprich: der Zugang zum Atlantik, spielte ihnen in die Hände.

Immer wieder gab es Gesetze, durch die die Weinbauern der flussabwärts produzierten Weine terrorisiert wurden. Zum Zum Beispiel durften ihre Weine nicht vor dem 11. November oder gar Weihnachten in den Verkauf – und erst dann, wenn die Ernte aus dem Bordelais verkauft war. Das hatte zur Folge, dass die meiste Zeit des Jahres die in Stadtnähe angebauten Weine keine Konkurrenz zu fürchten hatten. Erst wenn sie verkauft waren, kamen die Weine aus dem Oberland auf den Markt und in den Export – und das zu günstigeren Preisen, weil man junge, frische Weine bevorzugte.

Erste Schikanen

Jedes Jahr im Oktober stachen nur wenige Wochen nach der Weinlese ganze Flotten, bestehend aus Hunderten von Schiffen und beladen mit dem jungen Bordelaiser Wein, in See. Die Reise nach England dauerte eine Woche oder länger, je nach meteorologischer und politischer Wetterlage. Der Höhepunkt des Weinhandels in Bordeaux lag übrigens im 14. Jahrhundert und erreicht durchschnittlich 98 000 Fässer – 900 Millionen Liter (rund ein Drittel mehr als heute). Wer das alles getrunken hat? Ein europäischer Arbeiter konsumierte damals beispielsweise an die zwei Liter Wein täglich. Plus etwas Wasser.

Protektion und Monopolstreben

Mitte des 16. Jahrhunderts akzeptierte die Stadt Bordeaux nur noch tröpfchenweise Weine aus dem südwestfranzösischen Hochland und richtete ein Monopol für die Erzeugung, den Verkauf und den Export ihrer Weine ein, indem sie schließlich alle Vins de Coq mit hohen Zöllen belegte, um deren internationale Ausfuhr über ihren Hafen zu minimieren, den geneideten Konkurrenten von seinen Exportmärkten abzusperren und ihn somit wirtschaftlich auszubremsen. Da das Hinterland über keinen anderen Zugang zum Meer und somit zu seinen Absatzmärkten verfügte, war es dem ökonomischen Schlagabtausch zu jener Zeit schonungs- und hoffnungslos ausgeliefert.

Einschüchternde Gesetze & Zölle

War die Ernte in Bordeaux groß, so war es den Schiffen, die aus dem Südwesten kamen, verboten, am Hafen Bordeaux anzulegen und ihren Wein abzuladen, geschweige denn weiterzufahren. Mehrere 100 Jahre lang war die Fahrt auf die Garonne ein Kampf zwischen extrem hohen Zöllen und einschüchternden Gesetzen.

Um ihre Profite zu steigern, kauften die Bordeaux-Winzer bereits seit dem 13. Jahrhundert aber auch beträchtliche Mengen des Weines aus dem Süden – doch sie verkauften ihn nicht und tranken ihn auch nicht. Sie verschnitten ihre eigenen Weine mit den im Volksmund Vins Médecins genannten dunklen Weinen aus Gaillac und Cahors, um diese dann kurzerhand unter der Appellation Bordeaux zu verkaufen. Fälschungen und Verbrauchertäuschung waren an der Tagesordnung – Moral und Sittlichkeit? Frei nach Niccolò Machiavelli, dem Autor des Machtwerks Il Principe (Der Fürst) und Begründer der Staatslehre: Oubliez-ça! „Derjenige, der sich behaupten will, muss imstande sein, schlecht zu handeln, wenn die Notwendigkeit es erfordert.“ Macht zählt, Macht auf den internationalen Märkten! Koste es, was es wolle!

"War die Ernte in Bordeaux groß, so war es den Schiffen, die aus dem Südwesten kamen, verboten, am Hafen Bordeaux anzulegen und ihren Wein abzuladen, geschweige denn weiterzufahren. Mehrere 100 Jahre lang war die Fahrt auf die Garonne ein Kampf zwischen extrem hohen Zöllen und einschüchternden Gesetzen."

Der Hahn ist besiegt

Um 1751 jedenfalls kennt kaum einer der Reichen und Mächtigen Europas mehr die einst so begehrten Weine des Hahnes. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Für die Winzer aus dem Südwesten.

Gutes Marketing: Start des Bordeaux-Hype

Bordeaux machte außerdem gutes Marketing. Schnell kosteten durchschnittliche Bordeauxweine das, was die besten Vins de Coq einst wert waren, die besten Crus ein Vielfaches mehr. Die Preise und Preisspannen der einzelnen Regionen wurden 1647 erstmals von amtlichen Richtern festgelegt. Als Bewertung dienten in Handelskreisen langjährig geführte Ranglisten, die nach den erzielten Verkaufspreisen der Weine festgelegt wurden. Unterlagen beweisen, dass um 1740 die Spitzenweine (Grands Crus) mindestens 1200 Livres kosteten. Pessac, Pauillac und Margaux meist 1500 bis 1800 Livres pro Fass (das maximal 2500 Liter fassen durfte). 1720 bis 1740 fingen kluge englische Händler aufgrund der steigenden Nachfrage ihrer Kunden an, die besten Bordeaux-Weine in Flaschen zu füllen. Der weltweite Erfolg blieb nicht lange aus.

Während es um die vor Kurzem noch begehrten Vins de Coq immer stiller wurde. Zu allem Überfluss wurde Gaillac 1709 – wie auch weite Teile Frankreichs – von dem kältesten Winter der Geschichte überrollt. Ganze drei Monate lang herrschten eisige Temperaturen von weniger als -15°C, die den Großteil der Rebstöcke absterben ließen. Vielen Winzern barsten sogar ihre Weinfässer in den Kellern. Das brachte sie, ohnehin schon durch schmale Gewinne angeschlagen, um die Einnahmen mehrerer Jahre.

Grundstein für den Ruhm in der Britischen Upper Class

Dass die Bordelaiser nicht nur rücksichtslos, sondern auch äußerst klug waren, beweist, wie sie sogar in Kriegszeiten geschickt den Grundstein für den weiteren großen Erfolg im Londoner Establishment legten. Im siebenjährigen Krieg nach 1703 zwischen England und Frankreich war über den Atlantik kaum ein Durchkommen. Die Idee der Bordelaiser Weinhändler war einfach und erfolgreich: Die mit hochwertigen Weinen beladenen Schiffe segelten nahe an die englische Küste heran, wo sie von englischen Schiffen „gekapert“ wurden. Der Wein wurde nach London gebracht und auf Auktionen versteigert. So kamen im Mai 1705 in London u.a. 200 Fässer Haut-Brion unter den Hammer, im Sommer folgten nochmal zwei große Lieferungen – alleine diese Verkäufe ergaben einen Erlös von 40 000 Pfund. Die Kapitäne der Kaperschiffe erhielten den Hauptteil des Erlöses, der Rest ging hauptsächlich an die englische Krone. Auffallend war, dass die teuren und begehrtesten Crus Bordeaux in solchen hohen Mengen gekapert und auf den Auktionen angeboten wurden, dass Absprachen zwischen den Kapitänen der Kaperschiffe und den Bordelaiser Weinhändlern nur allzu wahrscheinlich sind. Mit Sicherheit war das Verfahren einträglicher, als die Spitzenweine zu Niedrigpreisen auf dem regionalen Markt anzubieten. Dass der Ruf der Marke Bordeaux im reichen London kräftig profitierte, war ein erwünschter Nebeneffekt.

Abseits der Kriegswirren oder Hungersnöte: Wein gewann dennoch in der Alten Welt immer mehr an Bedeutung. Im späten Mittelalter wurden wohlhabende Weintrinker zunehmend kritischer und entwickelten ein Bewusstsein für die Herkunft der besseren Weine. Die Bourgeosie wollte neue Herkünfte kennenlernen, neue Moden entdecken: So folgte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Champagner, Burgund, Hermitage und die weißen Rheinweine, inder zweiten Hälfte waren Malaga, Jerez(Sherry) und Port der letzte Schrei.

"Kaum eine andere Region wirkt so eingeschüchtert und hat so wenig Profil wie Gaillac. Auch ihr Selbstbewusstsein von damals ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Anämisch wie einst die Clairets aus dem Bordelais."

Und dann noch die Reblaus!

Bordeaux hatte seine Vormachtstellung und es begann ein goldenes Zeitalter, das mit der bekannten Klassifikation von 1855, die Napoléon III. auf der Weltausstellung gefordert hatte, gekrönt wurde.

Die Reblaus hingegen gab den Winzern im Südwesten den Rest. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts sorgte ihre unaufhaltsame Ausbreitung dafür, dass die Bauern im Südwesten anstatt Reben lieber andere Feldfrüchte anbauten – und Gaillac fiel als Weinbauregionin einen tiefen Schlaf. Die Bordelaiser hingegen hatten die Kriegskasse gegen die Reblaus prall gefüllt und pfropften ihre Reben schnell auf. Der Rest ist Geschichte. Was heute von dem ehemals glamourösen Haut-Pays bleibt, ist ein herausragendes Terroir – die besten Grundvoraussetzungen für Weine von Weltklasse. Zurzeit nehmen die Weinberge von Gaillac kaum mehr als ein Zwanzigstel ihrer früheren Größe ein. Auf rund 6 800 Hektar (wovon knapp die Hälfte auf AOC-Wein entfällt) kultivieren rund 420 Erzeuger ihre Reben und erzeugen Weine in jeder erdenklichen Farbe und Ausprägung. Kaum eine andere Region weist eine größere Bandbreite an Weinstilen auf, wirkt so eingeschüchtert und hat so wenig Profil wie Gaillac. Auch ihr Selbstbewusstsein von damals ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Anämisch wie einst die Clairets aus dem Bordelais.

Das Terroir des Gaillac im Weinberg La Tarabelle von Compte de Thun (© Dominik Maier)

WAS WÄCHST HEUTE IN DER HEIMAT DES VIN DE COQ UND WIE SCHMECKT DAS?

Diese fünf Crus Tarnais sind echte Charakterköpfe und haben das Zeug, ihrer Heimat Gaillac eine Stimme zu geben, damit die Welt wieder auf sie blickt.

Das Terroir des Haut-Pays erstreckt sich über Terrassen, sanfte Hügel und weite Ebenen. Die Böden sind karg und vorwiegend kalkhaltig. 1865 schwärmte der berühmte Jules Guyot von dem hiesigen Klima, das „wärmer als in Bordeaux und kälter als in Montpellier“ sei und deshalb produziere Gaillac „die besten Weine vom ganzen Midi“. Laut seiner Studie genieße die Gegend um den Fluss Tarn ein ausgezeichnetes Klima für die südlichen Rebsorten vom Midi, der Gironde (Merlot, Cabernet Franc, Cabernet Sauvignon, Malbec), der Côte-d’Or (Pinot Noir) und der Rhône (Syrah) – und die uralten, autochthonen Rebsorten Mauzac, l’En-de l’el und Ondenc (weiß) sowie Braucol, Duras und Prunelart, die Nachkommen griechisch-römischer Rebsorten sein könnten. Weine aus dem Gaillac decken nahezu das ganze Spektrum von trockenem und süßem Weißwein über Rosé und Schaumwein bis zum körperreichen Rotwein ab.

Hier ein paar schluckige Empfehlungen für die Neugierigen unter unseren Lesern, dem gebeutelten Südwesten eine Chance zugeben. Glauben Sie uns: Sie werden es nicht bereuen!

ENTDECKUNGEN AUS DEM SÜDWESTEN

LAURENT CAZOTTES MAUZAC ROSÉ 2020

Alte neue Schule

Ein beeindruckender Naturwein aus der autochthonen Rebsorte Mauzac. Die Trauben wurden fünf Monate in Amphoren (370 Liter) mazeriert, in denen sie anschließend für weitere vier Monate reiften. Bernstein im Glas. In der Nase finden sich Aprikose, Orangentarte, Birne mit Salbei und Tee in allen Variationen. Ausgeprägte Tannin- und Säurestruktur schließlich am Gaumen. Dieser Wein ist saftig und zupackend, ein Wein, der Tradition und Trend perfekt vereint.

Neben seinem Haupt-Business, der Eaux-de-Vie-Herstellung, hat Laurent Cazottes 2010 wieder angefangen, seine Familientradition in der 13. Generation aufleben zu lassen. Er fokussiert sich auf die lokalen Rebsorten Mauzac, Prunelart und Jurançon Noir und arbeitet biologisch-dynamisch.

17 € bei: distillerie-cazottes.com

ROBERT & BERNARD PLAGEOLES „BRO’COOL“ 2019

Rustikale Wildheit

In der Nase dominieren rote und blaue Waldbeeren, Sous-Bois und Noten vom Honigkuchen, sowie Anklänge ätherischer Kräuter. Am Gaumen ist der Wein der authochtonen Sorte Braucol saftig, darunter mischen sich schöne, feine Tannine. Alles in allem ist er von eher rustikaler Aromatik, die an eine lange im Ofen gegarte Aubergine erinnert. Hinzu gesellen sich Räuchernoten und wieder Unterholz. Letztendlich: Ein Bomben-Charakter-Wein für wenig Geld.

Plageoles ist sicherlich der Vorzeigebetrieb im Gaillac. Robert Plageoles wird auch gerne "the godfather of lost varieties" genannt. Zu Recht, denn ohne ihn gäbe es „Gaillac“ kaum mehr. Vor rund fünfzig Jahren hat er angefangen, die fastverlorenen, indigenen Sorten der Region wieder zu rekultivieren. Die meisten fand er wild im Wald, vermehrte diese und propagierte diese ehemals beheimateten Sorten wieder in seiner Region. Sein Sohn Bernard und seine Enkel setzen seine Arbeit fort.

14,90 € bei: lacave.at

CAUSSE MARINES „RASDU" 2018

Das Kraftpaket

Rasdu, ein Wortspiel, wird aus der alten, farbintensiven Rebsorte Duras gekeltert. Der Wein ist saftig, fleischig, ätherisch, wild. Kraftvoll, aber nicht überbordend und mit einer frischen Säure ausgestattet. Perfekt für orientalisch gewürzte Gerichte oder Boeuf Bourguignon.

Virginie und Patrice Lescarret, der Sohn von Bernard Plageoles, sind unkonventionell und undogmatisch. Sie kultivieren auf ihren 12 Hektar ausschließlich in Handarbeit – mit ein paar Eseln als Hilfskräfte – die seltenen Rebsorten Braucol, Ondenc, Duras, Prunelart oder Mauzac. Ihre Weine lassen sie lebendig: kaum gefiltert, geschönt oder geschwefelt. Abgefüllt als Tafelweine – daher auch das Zahlenspiel auf dem Etikett.

22,00 € bei: weinamlimit.de

LAURENT CAZOTTES PRUNELART 2018

Selbstbewusst & unverfälscht

In der Nase finden sich reife Himbeeren und noch heiße Waldbeermarmelade. Himbeerbrause – unterlegt von dem Duft im Wald nach einem reinigenden Regenschauer, wozu sich würziges Dukkah gesellt. Schöne Mineralität paart sich mit feiner Tannin- und Säurestruktur, die sehr gut aufeinander abgestimmt sind. Trotz seiner 14 Vol. % Alkohol wirkt der Wein schlank und frisch. Irgendwie betörend.

Neben seinem Haupt-Business, der Eaux-de-Vie-Herstellung, hat Laurent Cazottes 2010 wieder angefangen, seine Familientradition in der 13. Generation aufleben zu lassen. Er fokussiert sich auf die traditionellen, lokalen Rebsorten und arbeitet biologisch-dynamisch.

18,00 € bei: distillerie-cazottes.com

DOMAINE DE BRIN GAILLAC ROUGE "AMPHORE" 2021

Duo mit Charakter

In der Nase fein, kühl und kräutrig-würzig. Am Gaumen eine schöne samtiger Fülle, kraftvoll und gleichzeitig kühl-elegant mit wunderbarar Aromatik von Waldfrüchten und einem pfeffrigen Potpourri. Ein spannender Wein, der Tradition und zeitgemässen Trinkfluss wunderbar kombiniert.

Der junge Damien Bonnet keltert diesen Wein aus den lokalen alten Rebsorten Braucol und Duras, den eigenwilligen lokalen Rebsorten, die meist rustikal wirken in ihren Weinen. Nicht so hier, denn der junge Damien Bonnet beherrscht das Handwerk und weiss auch die Amphore bewusst einzusetzen. Er gründete seine Domaine de Brin 2008 und setzt seit Beginn an auf biologische und naturnahe Methoden. Auf 14 Hektar werden die traditionellen Rebsorten angebaut, auf den umliegenden Feldern setzt Damien auf Mischkulturen wie Linsen und Kichererbsen, um eine nachhaltige Biodiversität zu fördern. Hier entstehen Weine, die die Vielfalt und Identität des Terroirs von Gaillac widerspiegeln.

20,00 € bei: weinhalle.de

COMTE DE THUN SYRAH „LA TARABELLE“ 2010

Aristokratische Eleganz

Der Cru präsentiert sich in der Nase dicht, saftig und elegant. Er betört durch gereifte Aromatik und gleichzeitige Frische. Waldbeermarmelade mischt sich mit Oliventapenade, Pfeffer, Rosmarinhonig und Rumtopf. Stilvoll und charismatisch orchestriert weist er große Tiefe und Spannung aus, am Gaumen feine, straffe Tannine, gefolgt von einem langen Finish.

Syrah wird seit dem 3. Jahrhundert in dieser Region angebaut und hat neben der Rhône hier seine Heimat gefunden. Den Weinliebhaber Ferdinand Graf von Thun und den renommierten Önologen Riccardo Cotarella verbindet eine langjährige Freundschaft und die kühne Vision Comte de Thun zu einem der wegweisenden Weingüter im Südwesten Frankreichs zu machen. Wie einst im 13. bis 17. Jahrhundert wollen sie wieder eigenständige, lagerfähige Spitzenweine von Weltruf erzeugen – und so die Renaissance der Weinregion Gaillac einläuten.

38,50 € bei: shop-comtedethun.com