Weingüter sind interessante Auftraggeber. Für Architekten. Wem sonst könnten Winzer und Weingutsbesitzer einen Auftrag geben, der beides abbilden kann: zum einen das Weingut (und damit die Persönlichkeit des Winzers) und zum anderen die Arbeit des Architekten. Im besten Falle bekommen zwei Selbstverwirklicher ein Denkmal ihrer Selbstverwirklichung. Im allerbesten Falle ist dieses Denkmal funktionell, erfüllt alle Zwecke, passt in die Landschaft und gefällt der Bevölkerung. Das Gebäude der Kellerei Tramin in Südtirol ist so ein Weingut. Das ist nicht der Normalfall, denn oft werden landwirtschaftliches Erbe und traditionelle Kulturen zugunsten von glatten Design aufgegeben; oft bleiben als Resultat bloß eine schicke Renovierung und schrille Anbauten. Provokante Gebäude ziehen zwar Besucherscharen an, Auftraggeber und Architekt müssen sich letztlich fragen, worin ihr Wert und ihre Wirkung liegen, wenn keine Verbindung zu der Region hergestellt werden kann.
Der Südtiroler Werner Tscholl kennt sein Land bis weit in jedes Tal hinein. Er ist der Architekt der Kellerei Tramin. Tscholl will die Tradition in seinen Entwürfen am Leben erhalten. Das klingt einfacher, als es ist. Vor allem für einen Mann wie Tscholl, der weiß Gott nicht dafür bekannt ist, dem Traditionellen zu frönen. Aber Tradition einbinden heißt ja nicht nur Holzhäuser mit einem Herrgottswinkel (den es in Südtirol noch sehr oft gibt) zu bauen. Tscholl ist vielmehr für sein intuitives Verständnis der Gebirgsregion bekannt geworden; mitten in einer Gegend, reich an historischer Baukunst, liefert seine Architektur ein mutiges, zeitgenössisches Bild des Landes. Dazu gehört auch der Respekt vor der Landschaft, den man bei der Kellerei Tramin nicht auf den ersten Blick erkennt. Aber auf den zweiten, der näheren Betrachtung, auf die es ankommt. Da sieht man, dass Tscholls auffälliges Gebäude sich auffällig in die Landschaft schmiegt. Ja! Schmiegt! Man muss nur genau hinsehen.
Die ausdrucksstarke Formgebung Tscholls resultiert (auch bei seinen vorhergehenden Bauten) aus einem detaillierten Verständnis von Geschichte und Gegenwart der Region, die ja nie das eindimensionale Tirol war, sondern immer Grenzland, immer auch Aufmarschgebiet verschiedener Mächte. Und immer auch Spielball dreier Nationen. Tscholl weiß, dass man in Südtirol eben aufgrund der mächtigen aber stets aufmerksamen Tradition die Moderne zum Teil der Tradition machen kann. Und umgekehrt. Die Kraft seiner Architektur entsteht auch aus spielerischer Neugierde und der ihr folgenden Experimentierfreudigkeit. Ein guter Architekt muss auch immer das Kind in sich fragen, was es bauen will.
"Intuitives Verständnis für die Gebirgsregion"
Die eindrucksvolle Wirkung, die der Bau auf die Landschaft haben würde, war vorauszusehen. Tscholl entwarf ein kühnes und auch kühles Design, ein Bauwerk, dem ein grünes Rebgitter übergestülpt wurde. Als eine Art Käfig, der keinen einsperrt und keinen abwehrt. Die hervorstechende grüne Hülle, die den Bau umgibt, leitet sich von den natürlichen Formen der Rebstöcke ab. Die Architektur imitiert einen lebendigen Organismus von dynamischer Energie und pulsierender Farbigkeit. Der Bau vermittelt schon bei der ersten Betrachtung eine energetische Vitalität und so auch auf die täglich in seinem Inneren stattfindenden Geschäftigkeit, die auf den biologischen Zyklus des Rebstocks und den Weinherstellungsprozess verweist. Die bewusst robust aussehende äußere Hülle, die an den dünnen Stellen der Streben auch Fragilität zeigt, symbolisiert Wachstum und Bewegung der Rebe. Auf der Innenseite der Außenhülle befindet sich eine gläserne Vorhangwand, die den umbauten Raum einfasst. Ihre glatte Oberfläche spiegelt die Struktur der Rebe wider und reflektiert die Farbänderungen des Himmels und die Hügel, die den Bergen vorstehen. Ab und zu blitzen Glanzlichter des hellen Interieurs durch das Glas und geben dem Gebäude Tiefe.
Um Verbindung zu knüpfen, wiederholt sich die durch die Rebe inspirierte Verkleidung auf den konkaven Decken im Innenraum und den Möbeln des Interieurs. Die neue Anlage steht auf dem bestehenden Grundriss des alten Kellers und saugt so auch etwas von der Tradition der alten Fertigungsstätte auf. So wie die Traubenfür den Wein den Geschmack der Weinberge transportieren, so transportiert Tscholls Architektur seine Interpretation von Form, Materialität und Semantik der Weinherstellung.
Wie auch beim Wein, spielt in der Architektur die Zeit eine große Rolle. Tscholls Bau soll Jahrzehnte halten und eine zeitlose Architektur sein. Er verkörpert den traditionellen Prozess des die Region bestimmenden Genussmittels Wein. Die Architektur vermittelt hier eine Botschaft von Land und Leuten. Und Auftraggeber und Architekt beweisen, dass hohe Berge und enge Täler die Sicht auf Visionen nicht eng machen.