Es war keine Flut oder Dürre, die das Ende des traditionsreichen Weinbaus in Deutschland besiegelte, nein, es war ein „wissenschaftlicher“ Bericht. „Alkohol ist Gift!“ lautete die Schlagzeile, auf die sich Politiker, Experten und Gesundheitsminister stürzten. Der Wein – jahrtausendelang ein Symbol für Kultur und Geselligkeit – wurde plötzlich zum öffentlichen Feind Nummer eins.

 

 

„Es ist für die Gesundheit!“

Innerhalb weniger Monate brach eine regelrechte Panik aus. „Alkohol verkürzt das Leben!“ „Schon ein einziger Tropfen Wein bringt den Tod“ schrieben die Zeitungen, das Fernsehen, die sozialen Medien. 24/7. An jeder Ecke erhoben sich Moralapostel, die ihre überteuerten, entalkoholisierten Mocktails schwenkten. 

Überall Mahner und Warner.

Es war ein Dienstagmorgen im Oktober 2045, als der letzte deutsche Winzer unweit der bekannten Kleinstadt Bernkastel-Kues sein Weinglas endgültig gegen einen Joint tauschte. Die Alten erinnern sich noch an die Erntezeit in einst vergangenen Zeiten. An den steilen Hängen der Mosel, wo Riesling-Reben auf steilen, kargen Schieferhängen wuchsen, wuchern jetzt dünne, lange Hanfgewächse mit zackigen Blättern. So weit das Auge reicht. Statt des betörenden Duftes von nassem Schiefer und reifen, würzigen Riesling-Trauben liegt ein krautiger Odeur in der Luft, der sich wie eine klebrige, nicht verschwinden wollende Nebelwolke über die Landschaft legt.

Positiver Rau(s)ch mitten im Grünen.

„Es ist für die Gesundheit“, haben sie gesagt. „Studien beweisen es! Alkohol macht krank!“ Eine Lobby aus Guttemplern und Abstinenzlern, streng, unerbittlich, pseudo-wissenschaftlich. Die Schlagzeilen überschlugen sich: „Wein – reines Gift für den Körper!“ Überall Mahner und Warner. Die letzten Weinliebhaber wurden angeprangert, als wollten sie heimlich Rattenfleisch als Delikatesse verkaufen. Der Konsum von Wein war zur öffentlichen Sünde geworden. Kaum ein Sommelier wagte mehr, sein Gesicht zu zeigen, nur einige wenige passionierte Gastgeber versteckten sich in der Berliner HAFENKÜCHE und dealten mit den letzten Trouveillen.

 

Doch was tat man, um die „verseuchte“ Kulturlandschaft der Mosel zu retten? Die Weinberge wurden zwangsweise gerodet, ganze Berge umgepflügt. Die Weinstöcke wurden lieblos aus dem schroffen Schieferfels gerissen, Spitzen-Terroirs die lebendige Wurzel gezogen. Einfach ausgejuffert an der Mosel! Ausgescharzt an der Saar.

 

Anstelle der vertrauten Rebstöcke wuchern jetzt Hanfgewächse. Diese werden vom Wind bestäubt und vermehren sich fast von selbst. Wie praktisch – will doch heute kaum noch jemand in der Landwirtschaft buckeln. Viel wichtiger aber: „Nachhaltiger, gesünder und völlig unbedenklich“, schwärmen die neuen Cannabis-Bauern, die einst Winzer waren. Dabei grinsen sie breit und freuen sich auf die nächste eigene Ernte.

Die Mosel, das neue Hanf-Mekka.

Ganja Membership Clubs und Spätis anstatt Weinbars

Dabei fing alles harmlos an. Erst wurden die Weinmessen immer kleiner, die Besucherzahlen schrumpften. Dann kamen die ersten Entzugsstudien. Es dauerte nicht lange, bis das Ministerium für Ernährung und Gesundheit ernst machte. Ein Gesetz nach dem anderen kippte zugunsten der mächtigen Anti-Alkohol-Lobby. Die Flasche Riesling auf dem Tisch, früher ein Symbol von Weinkultur und Genuss, vom Gesundheitsminister nun als subversiver Akt beschimpft. In den Städten hatten die Spätis an jeder Ecke reichlich Angebot, die Szene versnobter Ganja Membership Clubs wuchs. Diese gruben den Weinbars und vinophilen Restaurants das Wasser ab.

Selbst der kultige GRILL ROYAL mit der besten Weinkarte der Hauptstadt musste – unter viel Protest – umsatteln: Die hoch dekorierten Sommelièren und Sommeliers priesen anstatt der unzähligen Kultgewächse aus der Alten Welt ein großes Cannabis-Potpourri der neuen Welt an. Der Weinkeller wurde zu einem Museum, die edlen Gewächse von Romanée-Conti, J.J. Prüm und Dom Perignon in transparenten Boxen verplombt.

Hanfblüten-Tasting

Die Sommeliers machen heute Hanfblüten-Tastings und erklären die Anbaumethoden: angebaut im Freien oder „growboxed“, bio, nicht bio, hydroponisch und aeroponisch. Beliebt ist auch die Diskussion über die Feinheiten der Bodenbearbeitung und Direktsaat im Vergleich, was eine wesentliche Auswirkung auf das Aromenspektrum der Blüten hat. Auf den Tischen steht nicht mehr die Flasche Riesling GG, sondern liegen Joints aus Royal Gorilla oder Quick One. Lemon Shining Silver Haze anstatt eines süffigen, leichfüssigen Kabinettchens. Sind die Gäste in Feierlaune, ist die breit machende Sorte Skunk XL the best choice – und nicht mehr Miraval Rosé aus der Doppelmagnum.

Ideologie versus Kultur?

An der Mosel ist der Wandel besonders spürbar. Die pittoresken Dörfer, die sich einst von ihren Weinverkäufen ernährten, sind verwaist. Wein ist Geschichte.

Vor dem ehemals renommierten Weingut von Johann-Josef, kurz J.J. genannt – dem letzten standhaften Winzer, steht ein verkümmertes „Zu verkaufen“-Schild. Statt klingender Weingläser hört man auf dem Hinterhof eine hitzige Debatte. Ein alter Mann entrüstet sich: „Das war unsere Kultur, unser Erbe!  Die Reben standen hier über 2000 Jahre! Und dann kommt ihr daher und reisst unsere Tradition - im wahrsten Sinne des Wortes - mit der Wurzel heraus und setzt uns eure Regeln vor die Nase."

Wein ist Geschichte.

Die Enkelin gibt bockig zurück: „Opa, chill mal! Wir leben in ’ner komplett anderen Welt! Die Weinberge hatten ’ne krasse Geschichte, aber es geht heute um much more! Wir können’s uns einfach nicht mehr leisten, krank zu werden. Unser Gesundheitssystem ist komplett am Arsch. Und Alkohol ist toxic. Hanf dagegen ist halt the real deal, hilft gegen Stress, Schmerzen, lame Tage. Es geht nicht mehr nur um Fun, Opa, es geht um Longevity, verstehst du? Wir wollen gesund und schön sein und auch bleiben - Alkohol passt da einfach nicht mehr zu unserem Lebensstil. Traditionen sind nice, aber der Planet, die Zukunft verlangt, dass wir anders denken und leben.“

Der Opa runzelt die Stirn und gestikuliert: „Du redest von Gesundheit und langem Leben! Es gibt so viele Studien, die zeigen, dass ein Glas am Tag sogar sehr gut für unsere Gesundheit ist. Positiv fürs Herz, Wein senkt das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Natürlich in Maßen! All diese positiven Einflüsse seht ihr einfach nicht, weil sie nicht in euer Weltbild passen!“

Es geht um Longe-vity, verstehst du?

Der Großvater sieht auf die Hanfplantagen und fragt verweifelt: „Wie konnte das alles nur passieren? Der Wein, der einst die Menschen zusammengebracht hat, gilt plötzlich als der Teufel." Er seufzt schwer: "Ich möchte über mich selbst entscheiden! Ich möchte ein Glas Wein trinken, wenn ich Lust darauf habe. Das kann und darf mir keiner verbieten. Geht es im Leben nicht darum, es zu genießen?"

Die Enkelin zuckt mit den Schultern und erwidert: „Opa, du verstehst halt einfach nicht, dass die Zeiten sich ändern!“

Da widerspricht der Opa seufzend: "Nein, mein Kind! Ihr versteht es nicht! Ihr seid auf die Abstinenz-Propaganda der Guttempler reingefallen! Weil es für euch nur schwarz oder weiss gibt und auf denjenigen gehört habt, die am lautesten geschriehen haben. Eure Ideologie hat unsere jahrhundertealte Kultur zerstört!"

Er wendet sich ab, streicht sanft über die Traube des gusseisernen Tores. Die letzte, die ihm geblieben ist. Leise murmelt er: „Aber jetzt ist es zu spät!“, während ihm eine einsame Träne über die Wange rollt.

Der Charme der Weinregion: verflogen.

Keine Rede mehr vom Stolz und Erbe der Winzer, von der Kulturlandschaft, von dem einzigartigen Terroir und den uralten, oft wurzelechten Reben. Keine Rede mehr von den weltweit mal so geschätzten Weinen.

Der Austausch der Winzer, die lebhaften Diskussionen über Aromenspektrum, Mineralität und den perfekten Lesezeitpunkt – alles verstummt. Der Charme der Dörfer? Verflogen. Wer bleibt schon in einer Region, die nach herbem Kraut und süßlichem Schweiß riecht?

Rein in den Nebel der Stadt.
Dunkle Stille.

Viele packen ihre Sachen und ziehen in die Städte, wo wenigstens noch ein paar Bars im Untergrund - wie das NOMI FOREVER den Mut haben, heimlich Wein aus dem Ausland oder alte Kellerbestände an Weinliebhaber zu verkaufen. 

Sommelier-Battle.

 

Neuer Weinkosmos und Schwarzhandel

In den Tiefen Berlins, wo einst in Kohlekellern illegale Techno-Partys tobten, formiert sich eine kleine Rebellion. Eine Gruppe abtrünniger Weinliebhaber, die genug von der Prüderie der entalkoholisierten Spießbürger hat, hat sich entschlossen, den Geist der Prohibition wieder aufleben zulassen. Sie beginnen, heimlich Wein an- und auszubauen. „UGs“, sogenannte Untergrund-Gewächse, sind zum Synonym für die rebellische Weiter-Kultivierung von Riesling und Pinot Noir geworden. Zum Schutze ihrer Art.

Top secret: Der Grand Cru der Untergrund Gewächse. DOC Berlin.
Die neuen Aufgabengebiete der Hauptstadt-Sommeliers. Natürlich ehrenamtlich.

 

UG-Max: The new hot Shit!

Die Weine sprechen eine deutliche Sprache: Der Riesling „UG-Max“ – kühl, mineralisch-stahlig, mit einer Tiefe, die an den berühmten G-Max aus dem Hause Klaus-Peter Keller erinnert. Der rote „UG“ hat noch ziemlich sperrige, jugendliche Tannine, erinnert aber bereits schon jetzt sehr an ältere Jahrgänge des Grand Cru Richebourg von Romaneé-Conti mit seiner verführerischen Nase nach Kirschen, Waldbeerenfrucht und Pflaume mit Anklängen von Minze, schwarzem Tee, Graphit und einem Hauch Orangenfrucht. Diese Länge, diese Eleganz – kein Wunder, dass man in Kennerkreisen schon vom „Underground Romanée“ spricht. Dass die Berliner Wine Bubble definitiv etwas von ihrem Handwerk versteht, belegt der florierende Schwarzhandel.

 

Verborgene Schätze

„Was waren das für Zeiten, früher!“, murmelt J.J. leise zu seinem Freund Egon, während sie auf die Mosel hinausblicken. „Heute geht’s nur noch darum, wer die größte Tüte bauen kann.“

Seine letzten Flaschen hat J.J. gut versteckt, irgendwo tief unter dem Clos (Anmerk. d. Red.: ein von einer Mauer umschlossener Weinberg) des Kröver Nacktarschs, der als eine der besten Lagen für Royal Gorilla gilt und streng bewacht wird. Niemand würde an dieser Stelle nach Wein suchen. Seine Urenkel werden es ihm danken, ist sich J.J. sicher. Denn sie werden es sein, die mühevoll wieder Reben anpflanzen werden, nachdem sie seine gereiften Schätze finden und genießen werden. Sie werden die Nase voll haben von der unendlichen grünen Welle der Gleichgültigkeit. Sie werden wieder stolze Winzer und ihre Generation Weintrinker sein, die die Arbeit ihrer Ahnen zu schätzen weiß und Schluck für Schluck genießen wird. Gemeinsam.

  

„Entschuldigen Sie, darf ich Ihnen noch ein Schlückchen nachschenken?“ Ja, sehr gerne auch zwei oder drei!“, antworte ich, als mich die Sommelière freundlich aus meinem (Alp)Traum reißt.