Heuer ist schon im Frühjahr eindeutig, wie die Kandidaten heißen werden: Pandemie, Shutdown, Durchseuchung, Herdenimmunität, Vorerkrankung, Risikogruppen. Wirtschaftskrise wird noch dazukommen, hat als Wort des Jahres keine Chance, das hatten wir schon 2008. Wie oft das Wort des Jahres, haben diese Worte wenig Aufbauendes. Also ersetze ich sie durch andere: Morcheln, Spargel, Kitzleber, Riesling, Montrachet, Côte du Rhône.
Soziale Distanzierung weicht meinen Geist auf.
Ich merke, wie mich die soziale Distanzierung meinen Geist aufweicht. Immer öfter ertappe ich mich dabei, dass ich Beiträge auf Facebook mit einem Herz like anstatt sie zu ignorieren. Das ist der Überschuss an Menschenliebe, den ich auf andere Weise offenbar nicht mehr los werde. Wie eine Salami in der Mittagssonne, die ihr Fett ausschwitzt.
Wenn ich mich bewegen will, flaniere ich nicht von Bar zu Bar in der Innenstadt. Die sind geschlossen. Ich gehe über die Wege und Straßen in den Weingärten meines Wohnortes. Am ersten Wochenende, als mir das alles noch surreal vorkommt, begegnet mir während meines Spazierganges ein weiß blühender Obstbaum, von der Sonne beschienen. Wir sollen zu Hause bleiben, die Natur verhöhnt uns mit ihrer farbigen Pracht. Die Natur tut weiter im Jahresprogramm, ihr sind die Menschen gleichgültig. Als ein paar Tage später Frost und Schnee die Blüte der Obstbäume in meinem Garten zum Erliegen bringen, ist klargestellt, dass der Natur auch sie selbst egal ist.
Gleichgültig ist den Wäldern, Bäumen, Blumen, Wiesen, Hausfassaden und den Polizisten, die sich anmaßen, unsere soziale Distanziertheit zu kontrollieren, auch die Kleidung, die wir tragen. Lagerfeld wird Lügen gestraft. Wenn du die Kontrolle über dein Leben verloren hast, weil sie das Virus dir weggenommen hat, kannst du Jogginghose tragen.
Für den Weinkeller ist diese Zeit eine Katastrophe.
Für den Weinkeller ist diese Zeit eine Katastrophe. Weil ich durstig bin, steige ich mindestens einmal im Tag in ihn hinunter. Weine, die ich seit einem Vierteljahrhundert verschone, springen in mein Blickfeld. Der Bordeaux 1989 oder 1990, die besten Jahrgänge, bisher immer aufgespart, haben keine Ausrede mehr. Ich trinke nicht nur, ich esse auch. Lieferdienste finde ich deprimierend. Das Kochen in dieser Situation ist für mich ein Therapeutikum. Die Ansprüche sind hoch, die Fallhöhe tief. Manches gelingt, anderes geht den Bach runter. Aber nicht den Abfluss. Aus Loyalität esse ich fast immer auf.
Jeden dritten Tag gehe ich einkaufen. Die Summen, die ich dabei ausgebe, sind nicht unerheblich. Im Supermarkt war ich während der letzten vier Wochen ein einziges Mal, kurz vor dem Zusperren Tulpen kaufen. Denn die Blumenhändler müssen zugesperrt haben. Blumen sind also nach Definition der Bundesregierung nicht systemrelevant, Banken hingegen schon. Eine Präferenzliste, die ich nicht nachvollziehe. In den Supermärkten spielt es sich ab. Erst hamsterten sie Klopapier, als könne man daraus Mahlzeiten zubereiten und schon meldeten sich erste Tiefenpsychologen mit Analysen, warum die Menschen in Deutschland und Österreich Toilettenpapier kauften, während zur gleichen Zeit die Spanier und Franzosen Wein horteten. Es muss etwas mit frühkindlicher Prägung zu tun haben. Social distancing ist in den Supermärkten unmöglich.
Wegen finanzieller Atemschwäche: Dorflage statt Grand Cru.
Der Mitmenschen heißer Atem in deinem Genick, vor dem Regal mit dem Klopapier, und beim Anstellen an der Kassa, ist jetzt nicht nur widerlich, er ist beängstigend. Neuerdings müssen alle beim Einkaufen und in den nahezu leeren Öffis Schutzmasken tragen. Der Rewe-Konzern verlangt dafür 1 Euro, die anderen Supermarktketten geben die Masken gratis her. Wie gesagt: Nichts für mich. Ich fahre zum Naschmarkt, zum besten Gemüseladen von Wien, dem Himmelsbach, gleich daneben Wiens bester Käse- und Wurstladen, der Urbanek. Zur Zeit etwas reduziert im Angebot, sowie der Fischhändler meines Vertrauens, Umar. Dort ist wenig los, aber man versichert mir, dass der Lieferservice gewaltige Aufwände erfordert.
Der Himmelsbach hat nebenan auch eine kleine Metzgerei, also bin ich versorgt. Zu Hause brate ich mir Kalbsbries, von den Bauern in Badgastein, beste Qualität, gebe dazu ein Ananas-Ingwer-Chutney, wie ich es ähnlich, aber nur um vieles besser, in der Ambroisie in Paris hatte. Ein anderes Mal gibt es Seezunge mit den ersten Morcheln aus den Donau-Auen, Weinbrand von Willi Bründlmaier 1984 und Demi-Sel-Butter. An fleischlosen Tagen bereite ich Pasta mit selbstgemachtem Pesto zu, oder Spargel, in der Folie gegart mit Rohmilchbutter, Leindotteröl von der Familie Fandler und Spargelessig von Erwin Gegenbauer. Bezahltes Namedropping? Mitnichten! Nur ein Ausdruck der Verbundenheit mit den lokalen Produzenten, die jetzt auch nicht gerade mehr Umsätze machen. So wie meine Wenigkeit leider auch. Deshalb ja auch Zeit zum Kochen.
Triage im Weinkeller. Die Zeiten sind hart.
Trotz finanzieller Atemschwäche habe ich bei den Winzer und Weinhändlern meines Vertrauens einige Bestellungen platziert. Das Motto: Dorflage statt Grand Cru. Der Anblick der Weinkartons, die in meiner Veranda herumstehen, weil ich zu faul bin, die Weine in den Keller zu tragen, der außerdem voll ist, beruhigt mich, wie andere der Anblick der Vorräte an Nudeln und Klopapier.
Heute Abend gibt es Kitzrücken. Gebraten mit Kräutern und Rohmilchbutter. Dazu gebratene Radieschen und Frühlingszwiebel. Vielleicht ein Flaccionella 1990 dazu. Triage im Weinkeller. Die Zeiten sind hart. Morgen fahre ich dann ins Steirereck, das seit einigen Tagen Beuschl, Pogusch-Lamm, Gulasch und Milchrahmstrudel als Take-Away anbietet. Ich habe das lange hinausgezögert, weil ich fürchte, dass ich nach meiner ersten Steirereck-Mahlzeit in den eigenen vier Wänden keine Pfanne und keinen Kochlöffel mehr angreifen werde, weil sinnlos.