Ein Online-Artikel der WELT („Die Zeitenwende beim Rotwein“) strahlt mich nachts um 2 Uhr radioaktiv über WhatsApp an: „Wein ist bei Generation Z out – besonders Rotwein“. Daneben das Bild von einem Best Ager in Denkerpose: Autor Manfred Klimek, 62 Jahre.
Text-Bild-Schere natürlich maximal meta, da alter, weißer Mann in alter, weißer Männer-Pose auf nachdenklich angelehnt über Gen Z am Philosophieren. Harte Schaukelstuhl-Vibes, Opa lädt zur Märchenstunde, Boomer-Cringe lässt grüßen.
Boomer-Cringe lässt grüßen.
Aber ganz ernst gemeinte Frage: Ist Rotwein vielleicht out, weil exklusiv alte, weiße Männer mit einer Sprache über das Thema schreiben, die 2024 niemand mehr fühlt? Allein in den ersten drei Sätzen fällt viermal das Wort „Zeitenwende“, die ich mir sehnlichst herbeiwünsche. Vor allem, was die Berichterstattung der Branche anbelangt. Dazu flowt der Satzbau so wie Neuholz-Chardo: nullinger. Sieben Kommas sprechen Bände. Punkt.
Die Weinsprache alter, weißer Männer:„Harte Schaukelstuhl-Vibes, Opa lädt zur Märchenstunde, Boomer-Cringe lässt grüßen.“
Die ersten drei Sätze lesen sich dermaßen steinzeitlich, dass sie Archäologen als fossile Ausgrabungsstätte dienen könnten. Und dazu diese Gaga-Headline wie welke Salatgarnitur: „Wein ist bei Generation Z out – besonders Rotwein“. Enough said. Ja, Wein ist wirklich out. Deswegen.
Mehr Zeitgeist, weniger Zeitwende.
Und klar, die Leserschaft der WELT ist Boomer oder kurz vor Renteneintritt, aber deswegen muss ja nicht gleich in Gargamel-Lingo über das Thema referiert werden? Mehr Zeitgeist, weniger Zeitwende.
Außerdem kenne ich genug Menschen Mitte 50, die Lust auf frische Rebzeilen haben. Wie Nietzsche sagt: „Alle guten Dinge haben etwas Lässiges und liegen wie Kühe auf der Wiese.“
„Dermaßen steinzeitlich, dass sie Archäologen als fossile Ausgrabungsstätte dienen könnten.“
In der Headline davon zu sprechen, dass Rotwein bei der Gen Z out ist und diese Aussage dann im Text mit den schwindenden Subskriptionskäufen großer Erzeuger im Bordeaux zu verklausulieren, ist auch maximal lost. Ja, Bordeaux ist out. Nicht nur bei Gen Z, sondern durch die Bank. Das Burgund, die Champagne und das Piemont regieren und auch diese Blase wird platzen.
Gen Z hat jetzt Durst.
Warum Bordeaux als uncool gilt, ist ebenso easy: Das Image wimmelt vor Wollmäusen. Die Designsprache der Etiketten schreit Napoleon III., hinzu kommen Chateaus wie Elfenbeintürme und Gerbstoff-Bazookas, die nicht für Menschen, sondern Parker-Punkte gekeltert werden und erst in zehn Jahren genießbar sind. Gen Z hat jetzt Durst.
Aber ja, Rotwein ist out, weil Jonas A. aus Böblingen, 24, ledig, Bankkaufmann bei der Landesbank Baden-Württemberg, gerade erfolgreich die Ausbildung abgeschlossen, nicht mal kurz auf lock sieben Kisten Haut-Brion subskribiert. Genau das isses. Wissen wir alle.