Ja, muss. Denn Wein ist wie Sex: je mehr wir davon haben, desto dringender möchten wir mit jemandem drüber reden. Und je länger wir das tun, desto besser beherrschen wir das Thema. Doch wie bei Sex gebietet es sich auch bei Wein, dass wir Fremde oder entfernte Bekannte mit unserem Mehr an Erfahrung in Ruhe lassen.
Weißburgunder aus der Pfalz ist die Missionarsstellung unter Deutschlands Weißweinen.
Wer jetzt davon den Satz „man schweige und genieße“ ableitet, sitzt einem Irrtum auf. Für Wein und Sex gilt: Du sollst nicht angeben! Doch egal ob Sexualtherapeutin oder Tantralehrer, Sommelier oder Weinhändlerin, Experten beider Fachrichtungen erklären einhellig, je genauer die Beschreibung der eigenen Wünsche, desto größer wird der erreichbare Genuss.
Eine meiner Bekannten ist Weinhändlerin. Sie berichtet, dass gut die Hälfte ihrer Kunden das Beratungsgespräch damit beginnen, dass sie leicht theatralisch die Arme in die Luft werfen und stöhnen: „Also ich habe ja gar keine Ahnung von Wein!“ Auf einen Schlag reduziert sich ihr exquisites Sortiment von fünfhundert auf fünf Blockbuster-Weine.
Wer „schönen“ Wein verlangt, kriegt Weißburgunder aus der Pfalz, die Missionarsstellung unter Deutschlands Weißweinen. Oder Primitivo aus Süditalien – rotweingewordenen Blümchensex.
Wer auch nur ein paar Vokabeln parat hat, um seinen eigenen Geschmack zu beschreiben, gelangt in den Genuss exzellenter Beratung und geht mit spannendem Stoff für besseren Stoffwechsel nach Hause.
Das Reden über Wein ist also niemals Selbstzweck. Es dient dem Erlernen geeigneter Beschreibungen, damit wir unsere Wünsche zum Ausdruck bringen können, wenn es drauf ankommt. Zweck und Funktion sollten wir dabei nicht aus den Augen verlieren. Wer bei der Beschreibung von Wein möglichst exotische Aromen und Assoziationen aneinanderreiht, tut dies zumeist der Distinktion wegen. Das ist Teenager-Geprahle: Ich kenne mehr als du, beherrsche die Technik und erlebe deswegen die wilderen Geschichten. Wenn Manfred Klimek an anderer Stelle in einer seiner Kolumnen über einen Wein schreibt, dieser sei „in der Nase mega-jung, mit Litschi, Reifengummi und viel Roggen im Sommer“, oder einem anderen „etwas geräucherte Kohlblätter, ein wenig Anis, Liebstöckel, Gelbwurz, Koriandersamen, auch Minze und Balsamicokonzentrat“ bescheinigt, so beschleicht mich ein Unbehagen wie damals, als mein frühreifer Freund Nils in der zehnten Klasse montags morgens mir und den anderen männlichen Jungfrauen wortreich schilderte, was er am Wochenende alles mit Nina aus der Parallelklasse angestellt haben wollte.
Das ist „too much information“ – und die Hälfte davon verheißt bei genauerer Betrachtung sowieso keinen Genuss, sondern einen Bandscheibenvorfall (Nils) oder heftiges Niesen (Klimek). Überhaupt, Aromen: Hört auf mit den Aromen. Riesling riecht häufig ganz profan nach Apfel, gerne auch nach Aprikose und manchmal nach exotischen Früchten wie Papaya.
Doch ich habe noch nie erlebt, dass jemand Riesling nur dann trinken mag, wenn er nach Apfel duftet. Das wäre, als könnte ich nur mit einem Menschen Sex haben, der mindestens zwei Fremdsprachen spricht und eine davon ist Italienisch.
Umgekehrt wird allerdings ein Schuh draus: So wie ich schon an spontaner, erektiler Dysfunktion litt, weil mich ein spezifischer, leider zu spät bemerkter, Körpergeruch abstieß, kriege ich die meisten Pinot Grigios nicht runter, weil sie diesen ordinären Ton im Bukett haben, der mich an Käsefüße erinnert. Aromen können ein Ausschlusskriterium sein. Und wer einem Wein mit so einem Killer-Aroma begegnet, darf ruhig sagen: „Den kannst du mir auf den Bauch binden.“
Primitivo aus Süditalien? Blümchensex!
Wenn es also nur selten auf Aromen ankommt, was ist es dann? Das Offensichtliche: Der Körper im Allgemeinen, die Interaktion im Besonderen. Reden Sie nicht nur über Eigenschaften, sondern auch über das, was der Wein mit Ihnen macht. Klar: Er macht betrunken. Aber das ist hier nicht gemeint. Denn Wein kann beleben, erfrischen, satt machen, beeindrucken, sich in den Vordergrund drängen oder mit einer Nebenrolle begnügen. Er kann fordern oder sich hingeben, tänzeln oder stampfen, sogar zärtlich sein – the Universal Language of Love eben, wie bei jeder großen Leidenschaft. Man muss sich nur darauf einlassen.