Wie wäre es mit einem eigenen Weingut? Bei einigen Prominenten gehört das inzwischen zum Muss. Regielegende Francis Ford Coppola beispielsweise gehören zwei Weingüter in Kalifornien (die er verpfänden konnte, als er einmal fast pleite ging), Gérard Depardieu keltert eifrig an der Loire und die Einzelteile des zerbrochenen Traumduos Brangelina geben ihre Namen für das Château de Miraval in der Provence her. Während einige wenige Promis tatsächlich mit Leidenschaft hinter ihrem neuen Hobby stehen, dürfte bei vielen anderen vielmehr Prestige oder Restless-Money eine Rolle gespielt haben – verbunden mit der Hoffnung, mal wieder auf dem Cover eines Boulevardblättchens zu erscheinen.

Völlig unter dem Radar der Öffentlichkeit fliegend vollzog in der Weinwelt sich 2014 jedoch ein wirklich spannender Weinguts-Besitzerwechsel. Michael Baum, vermögender Amerikaner aus dem Hightech-Mekka Silicon Valley, erwarb ein knapp 300 Jahre altes, weinproduzierendes Château im Herzen des traditionsreichen Burgund.

Unterm Radar der Öffentlichkeit

Das brachte einiges an Unruhe in das das Château beherbergende Weindorf Pommard und warf bei vielen Beobachtern die Frage auf, wieso um Himmels willen ein IT-Spezialist aus Amerika ausgerechnet hier Wein machen will; ausgerechnet hier, im 500-Seelen-Dorf (das allerdings einen bei Weinkennern weltbekannten Namen hat), ausgerechnet hier, wo man ausländische Eindringlinge stets abzuwehren wusste – vor allem mit exorbitant hohen Preisen für Weingärten und Betriebsgebäude.

Ich beschließe, den Unruhestifter zu besuchen. Mit Platanen gesäumte Alleen leiten mich von Beaune entlang hinein in den Ortskern Pommards. Im Zentrum eine imposante Kirche aus hellem Sandstein und einige historische Wohnhäuser, die wie eine Filmkulisse wirken – Zeitgeschichte, wie man sie in den Staaten selten findet. Keine 300 Meter weiter, bereits am Ortsrand angekommen, sehe ich es: das Château de Pommard. Und ich sehe einen rot glänzenden Tesla vor der Tür. Hier muss ich richtig sein, denn Michael Baum kommt auf mich zugelaufen, als ich einparke. Er öffnet meine Türe, wir sind gleich per Du – das Valley, Amerika.

Hier will ich bleiben, hier kann ich sein.

Baum führt mich zu allererst in die angrenzenden Weingärten, während ich zunehmend realisiere, wie skurril das alles ist. Inmitten seiner Pinot-Noir-Reben der 55-jährige Baum: graues Haar, lässig hochgekrempeltes Seidenhemd, dunkle Anzughose und die neuste Apple-Watch am Handgelenk. Er erklärt mir, dass wir jetzt im 20 Hektar umfassenden Clos „Marey-Monge“ stehen, benannt nach einer der bedeutendsten Familiendynastien des Burgunds, die Grundsteinleger des Châteaus war. Er richtet meinen Blick auf das frühere, ursprüngliche Anwesen, das er gerade aufwendig restaurieren lässt.

Ich merke: Der Mann hat Ahnung.

Eher beiläufig erwähnt Baum noch die Einzigartigkeit dieses Weingartens, denn es handelt sich um das größte zusammenhängende Clos des Burgunds im Einzelbesitz, ein Weinbergsmonopol. Das ist mir noch zu oberflächlich, weshalb ich nach Genauem des Terroirs frage. Baum erläutert, dass sich sein Clos aus sieben Parzellen zusammensetzt. Jede Parzelle hat unterschiedliche Anteile von Sandstein und Ton, unterschiedliche Rebstöcke verschiedenen Alters, unterschiedliche Klone und ein unterschiedliches Mikroklima. Ich merke: Der Mann hat Ahnung. Und nicht nur angelesenes Wissen.

Seine ersten Weine überhaupt trank Baum in den 1990ern – üppige Kraftpakete aus Napa und Sonoma mit viel Holz, Tannin und Alkohol, wie sie damals groß in Mode waren. Diese Weine waren, so glaubte er, wie Wein zu sein hat. Doch seine Hochzeitsreise durch Italien änderte seine Sichtweise schlagartig. Irgendwo in der Toskana, inmitten eines kleinen Dorfes, ähnlich Pommard, trank er den ersten leichten, eleganten und finessenreichen Rotwein seines Lebens – also einen, der ganz anders als jene war, die er bislang kannte.

Damit war Baums Interesse an Wein geweckt und er machte sich auf, mit seiner Frau Julie, das Neue bis ins Detail zu erkunden und keine Flasche auszulassen. Nach Italien bereiste er Frankreich. Erst fuhr er in das Bordelais – davon hatte er schon mal gehört. Dann in das Languedoc und ins Roussillon, gefolgt von der Rhône. Zuletzt, im Burgund, fand er seine neue Leidenschaft im Pinot Noir festgemacht. Hier wollte er bleiben und sein.

Hier, beim Erkunden, fiel für Baum die Entscheidung, selbst Wein keltern zu wollen; einer der Winzer hier sein zu wollen; einer, der nicht nur hier lebt, sondern hier auch arbeitet.

Baum vertiefte kontinuierlich sein Wissen über die Region und den Pinot Noir und wurde erneut überrascht. Denn während die hochtechnisierte amerikanische Weinindustrie nichts dem Zufall überlässt und jeder Weinberg dort unter stetiger Überwachung, Analyse und Kontrolle steht, zuckt man im Burgund, auf die Kontrolle angesprochen, oft lediglich mit den Schultern und verweist meist darauf, dass Mutter Natur schon ihre Arbeit mache. Baum merkte, dass die Weinkultur des Burgund all das ist, was in kalifornischen Prunk-Weingütern oft vergessen bleibt: etwas grundsätzlich dem Boden und der Natur Verpflichtetes, das man auch mal so sein lassen kann, wie es seit Jahrhunderten ist. Im Burgund, so erfuhr Baum, steht das Zusammenspiel aus Klima, Boden und Tradition im Vordergrund, und ist dafür da, jene Weine zu erzeugen, die es vermögen, die Wahrheit und die Wirklichkeit des Terroirs und der Jahrgänge widerzuspiegeln. Hier, beim Erkunden, fiel für Baum die Entscheidung, selbst Wein keltern zu wollen; einer der Winzer hier sein zu wollen; einer, der nicht nur hier lebt, sondern hier auch arbeitet.

Dem Amerikaner sein Burgundy Valley.

Von den Weingärten Baums geht es in das Herzstück des Châteaus – in Baums uralten Gewölbekeller. Baum führt mich durch ein Labyrinth aus endlos wirkenden Gängen, vorbei an Hunderten von Fässern und Hunderttausenden von Flaschen, welche fein säuberlich bis zur Decke gestapelt lagern. Hier, so Baum, reifen verschiedene Weine, wobei die Trauben größtenteils aus verschiedenen Grand-Cru- und Premier-Cru-Weingärten befreundeter Winzer entlang der gesamten Côte d’Or stammen und in Baums Keller von seinem Kellermeister Emmanuel Sala vinfiziert, gereift und abgefüllt werden. Lediglich drei eigene Weine verarbeitet Baum selbst aus dem eigenen Clos in diesen Gewölben – die noch dazu aus winzigen Erträgen. Und die darf ich verkosten.

Das Herzstück des Châteaus

Der erste Wein ist der Vivant Micault, produziert aus den jüngsten der alten Reben – 30 Jahre aufwärts. In der Nase und im Mund kraftvolle Eleganz, frische Frucht und provenzalische Kräuter, dazu eine lebendige Säure und feine Tannine. Der zweite Wein ist der Monopole, eine Cuvée der sieben Terroirs. Er wirkt komplexer, ist geprägt von dunklen Früchten, süßen Gewürzen und etwas Haselnussschokolade. Baum öffnet zuletzt eine Flasche eines Weins namens Simone. Dieser ist das über 300 Euro schwere Prestigegewächs des Hauses. Die aus der gleichnamigen Parzelle stammenden Trauben kommen von hundertjährigen Rebstöcken und wurzeln in einem der tonhaltigsten Böden des Burgunds. Simone, der nur in ausgezeichneten Jahrgängen produzierte Wein, zeigt sich als 2014er mit feinem Rosenduft, zarten Fruchtaromen und herzhafter Finesse. Dazu kommt ein samtiges Tanningerüst und eine jugendlich tänzelnde Säure, die ein jahrzehntelanges Reifepotenzial garantiert.

Zurück an der Oberfläche stehe ich mit Baum auf dem Cour Carrée, dem Innenhof des Châteaus, von welchem zwei Tore direkt in die Weingärten und ein weiteres in Richtung Haupteingang führt. Der Werdegang so mancher Flasche Wein verläuft somit wortwörtlich nur in wenigen Schritten und ich frage Baum, wieso der Vorbesitzer dieses Juwel überhaupt zum Verkauf anbot. Da muss Baum in der Geschichte etwas ausholen, denn die Suche nach einem Château im Burgund erwies sich freilich als unmöglich. Wenn hier ein Gut verkauft wird, dann gewöhnlich nur an französische Familien oder Unternehmen. Aber an jemanden von außerhalb der Landesgrenzen? Undenkbar!

Schlussendlich jedoch fand Baum auch weniger das Weingut, als dass das Weingut ihn fand. Maurice Giraud, damals Besitzer von Château de Pommard, sah sich mit einer fehlenden Nachfolge konfrontiert und suchte nach einem Mann, einer Frau, einer Familie, die, seine Werte pflegend, in seine Fußstapfen treten wollten.

Ein Sakrileg!

Er hörte von dem Amerikaner, mittlerweile Vater von zwei Söhnen, der das Burgund durchstreifte, er fand den Amerikaner und man fand – trotz aller kulturellen Unterschiede – eine Lösung, mit welcher der Wechsel des Guts einherging. Schätzungsweise 50 bis 60 Millionen Euro leichter, wurde Baum so der erste amerikanische Besitzer eines produzierenden Châteaus im Burgund. Die französische Presse bekam Wind davon. Ein Sakrileg!

Nachdem das Argument fiel, dass, wenn die Amerikaner nicht wären, man heute im Burgund bei Sauerkraut und Bratwurst säße, wurde die Kommentarfunktion geschlossen.

In der digitalen Ausgabe des Le Figaro überschlugen sich die Kommentare. Während sich die eine Hälfte der Leser über den Diebstahl des heimischen Erbes entrüsteten, stand die andere Hälfte hinter Baum und begrüßte, dass in den Erhalt französischer Traditionen investiert würde – auch wenn es ein Amerikaner tun würde. Es entwickelte sich eine hitzige Debatte. Und nachdem das Argument fiel, dass, wenn die Amerikaner nicht wären, man heute im Burgund bei Sauerkraut und Bratwurst säße, wurde die Kommentarfunktion geschlossen.

Baum kann über die Situation nur schmunzeln, denn Debatten über seine geschäftlichen Entscheidungen ist er als Investor in Zukunftstechnologien gewohnt. Die von ihm finanzierten Unternehmen sorgen für ordentlich Gesprächsstoff.

Zukunfts-Technologie an der Côte d'Or

In Deutschland etwa fahren bereits unter der Marke Unu flüsterleise Elektro-Rolleraus Berlin auf den Radwegen der Republik; in München will sein Start-up Konux den Bahnverkehr dank Hightech-Sensoren pünktlicher werden lassen, und Akvola, ebenfalls aus Berlin, revolutioniert die Aufbereitung von hochverschmutzten Industrieabwässern.

In vielen Fällen scheint Baum oftmals den richtigen Riecher und den richtigen Zugang zu Mentalitäten zu haben. Auch in Pommard beweist er das richtige Feingefühl; als neuer Nachbar lud er gleich nach der Übernahme zu einem ausschweifenden Fest mit 600 Gästen ein. Selbstredend blieb der Zuzug eines amerikanischen Hightech-Millionärs auch infrastrukturell nicht ohne Folgen und nach kurzer Zeit standen bereits Pläne für den Bau eines weiteren Weinkellers, die Restaurierung historischer Gebäude, sowie – logisch für den IT-Mann Baum – der Glasfaserkabel-Ausbau der Ortschaft an.

Hier packt jeder mit an – echtes Teamwork statt große Worte. So geht Startup-Spirit!

Während benachbarte Châteaux oft mit verschlossenen Toren abweisen, empfängt Baum in Pommard 35.000 Besucher jährlich und lässt diese, auch das sehr einzigartig, mit 90 Prozent seiner Produktion im Kofferraum vom Hof fahren – der Traum jedes Winzers also. Sein Château möchte Baum damit jedoch nicht zu einem Napa-Disney-Wunderland für vinophile Erwachsene machen, sondern eher über den Ab-Hof-Verkauf seine Position als Top-Produzent im Burgund stärken.

Erst mal hat er aber, neben der Umstellung auf Biodynamie, noch intensiv an den rund 200.000 Reben zu arbeiten, denn seit Jahren sinkt die Vitalität der 30- bis 130-jährigen Weinstöcke und Krankheiten breiten sich in einigen der Parzellen aus. Die einfachste Lösung, eine Komplettrodung der Anlage, wie sie vermutlich ein emotionsloser Investor vorziehen würde, kommt für Baum nicht infrage. Seine Rebstöcke, so sagt er, würden nur sehr selektiv gerodet.

Zur Tür begleitend, erzählt Baum noch von den besonderen Momenten hier im Burgund, beispielsweise von seiner ersten Weinlese in den sanften Hügeln. Aber auch von der Wertschätzung, die seine Kunden seinen Weinen entgegenbringen. Davon erfahre er viel im persönlichen Gespräch. In dieser Hinsicht unterscheidet er sich vermutlich kaum von anderen Winzern. Außer vielleicht, dass er bereits auf der Suche nach weiteren Weingütern in den für Pinot Noir prädestinierten Weinregionen der Welt ist. Angefixt! Ein Rastloser, wie viele andere seiner Branche und seiner Generation.