Der Mensch, die Dinge um ihn, aber vor allem die Dinge in ihm riechen. Beim Sex, bei dem man sich ja nun nicht nur sehr nahe kommt, sondern auch sich materiell regelrecht austauscht, kriegt also auch die Nase ihren Teil ab. Jüngst las ich darüber, dass alle Gerüche, die man den lieben langen Tag wahr nimmt, auf Partikeln beruhen, die dann von den Zellen unseres Geruchsorgans wahrgenommen werden. Denkt man nun an Blumen, einen frisch gebackenen Apfelkuchen, an Moselriesling oder an das T-Shirt des Partners, ist es durchaus ja ein schöner Gedanke, dass sich dieses verstofflichte Aroma zu einem kurzen Moment wirklich in uns befindet. Teil von uns wird. Anders verhält sich das mitunter bei altem Schimmelkäse oder Erbrochenem.
Aromatisch, eine Grauzone.
Sex ist in vielerlei Hinsicht, aber eben auch in der aromatischen, eine Grauzone. Was auf den einen abstoßend wirkt, findet der Nächste anziehend, was hier psychische Schmerzensgrenze ist, füllt in einem Amsterdamer Sexkino mehrere Kabinen – so war das schon immer und so wird, soll es auch bleiben.
Sex ist wie Wein, die einen sind für Sancerre, die anderen für Naturwein aus dem Weinviertel. Es beziehungsweise er ist eine Geschmacksache, und redet man aber erst einmal darüber, bilden sich verschiedene Lager heraus. Beim Wein wie auch beim Sex oszillieren die Rezeptoren zwischen Anziehung und Ekel und in der perfekten Dosis kommt es zu einem schmerzfreien Rausch.
Die Frage nach dem guten Geschmack ist in puncto Geruch kniffliger als beim Haarschnitt oder der Kleidung. Abgesehen vom Haar-Shampoo und Waschmittel lernt man sich olfaktorisch beim Sex gerade erst kennen.
Die Nase entscheidet: ja oder nein.
Ob jemand ein eklatanter Schwitzer ist und ob es bei der Wahl des Parfüms grundlegende Überschneidungen gibt, stellt sich möglicherweise schon früh heraus. Aber selten hängt man im Café oder am Tresen der Bar mit der Nase an der Haut des Gegenüber, auch nicht mit dem Kopf unter den Achseln oder gräbt mit der Hand in der Hose. Unter anderem dafür schläft man dann eben miteinander.
Weckt Erinnerungen an die Kindheit.
Danach kann man das weitererzählen, man kann es sogar filmen und Netz stellen, doch es gibt eine Sache, die sich jedweder Verbalität und Digitalität entzieht: der Geruch. Seine Daseinsberechtigung fußt auf mindestens zwei Säulen: dem Abgleich, ob sich zwei Menschen im wortwörtlichen riechen können und seiner Ästhetisierung. Viele Männer mögen Zigarettenrauch an Frauen, weil sie damit etwas Verruchtes verbinden, die Femme Fatale, die sich und ihr Leben ohne Abstriche genießt.
Nicht umsonst beinhaltet ein Parfüm von Chanel beispielsweise Stoffe, die Männer an den Geruch eines aktiven Bügeleisens erinnern. Das weckt Erinnerungen an die Kindheit, weckt Gefühle von Geborgenheit und Wohlgefühl – in jedem Falle also ein aromatisches Argument. Andere mögen Biergeruch, weil sie den noch vom Vater kennen und sich damit vertraut fühlen. Immer gibt es zu einem Geruch Bilder, die unser Gemüt stimmen. Ehrlicher als beim Sex kann man kaum riechen: keine Body-Lotion und kein Parfüm kann da helfen, kein Weichspüler, keine Duftkerze beschönigt die Tatsachen.
"Männer haben Möglichkeiten, schlecht zu riechen, wie ich sie bei Frauen noch nie erlebt habe!"
Nicht umsonst hat das Aroma auch in unseren Sprachgebrauch Einzug gehalten, wir haben uns „zum Fressen gern“, mögen uns „mit Haut und Haar“ und „können uns riechen“. Oder eben auch nicht.
Wird über einen Menschen gesagt, er rieche, so ist das selten positiv gemeint. In der Regel geht es dann um Schweiß, muffelige Gerüche, die natürlich auch so kultiviert werden können, bis sie zum ungewünschten Eigengeruch werden. Körpergerüche haben kein gutes Image, darum waschen wir uns ständig und übertünchen sie mit anderen Duftstoffen. Dabei kann ein schwitzender Mensch alles sein, was man in manchen Momenten bei sich haben will. Ich spreche nicht von der Sauna.
Lieber Blut als Kokos!
Hier folgt ein wenig Feldforschung im Bekanntenkreis. Diese hat ergeben, dass es Menschen gibt, die selbst kein Bier trinken, es in Form einer Fahne in Kombination mit Zigaretten aus dem Mund der Partnerin aber sehr anziehend finden. Und das ist kein Einzelfall. Es gibt auch Menschen, denen Korkgeschmack beim Bordeaux nichts ausmacht. Wenn allerdings selbst nicht getrunken wurde, wird diese Bier-Tschick-Ausdünstung beinah durch die Bank als unsexy empfunden. Aus dem Mund kommt, was vorher in den Magen gewandert ist. Die Hitliste der unbeliebten Klassiker zählt auf: Rotwein, Zwiebeln, Knoblauch, Fisch und Sauerampfer.
Interessanterweise stört Weißwein keinen, es ist bloß der rote, der in Form einer Fahne abstößt. Ein Statement: „Riecht aus einem Mund schnell nach Verwahrlosung.“ Die Weißweinfahne hingegen wird hier mit Trüffelaromen in Verbindung gebracht, dort mit Erbrochenem. Interessant wird es auch beim Thema Schweiß. Da haben wir ein Spektrum von „Wenn es guter Schweiß ist, kann man ja gar nicht genug schwitzen, würde ich jeder frischen Dusche vorziehen!“ über „Blumiger Frauenschweiß ist schön, beißender Männerschweiß ekelhaft“ bis hin zu „Schweiß ist das Letzte“.
Ein Konsens allerdings besteht darüber, dass schwitzende Frauen schlichtweg weniger unangenehm riechen. „Vielleicht ist es das Testosteron, das so stinkt“, gibt es hie und da Mutmaßungen. Diese These verfestigt sich, wenn wir die Nase weiter nach unten wenden, Ejakulationsgeruch. „Männer haben Möglichkeiten, schlecht zu riechen, wie ich sie bei Frauen noch nie erlebt habe“, fällt da beispielsweise, nämlich „beißend, verdorben und verwest“, um genau zu sein.
Wer würde solches über Wein behaupten? Solches klingt nicht schön, passt aber gut zu der allgemein weiblichen Verwunderung darüber, dass ihre Sexpartner sich häufig über Blutgeruch freuen, entweder kurz vor, während oder nach ihrer Periode. Blut scheint beliebter zu sein als Verwesung. Während sich Frauen allgemein mehr ob der frisch produzierten Gerüche beim Sex ekeln, lamentieren Männer vor allem über ein „zu viel“ an künstlichen Aromen, also Shampoo, Lotionen und Parfüm. „Da kann einem richtig schlecht werden“, findet einer und auf der Liste der unbeliebtesten künstlichen Aromen stehen sehr deutlich Vanille, Kokos und „Schminkzeug“.
Und dann gibt es noch etwas, worüber sich alle einig sind, und das ist die eigentlich frohe Botschaft: während dem Sex riechen die meisten nicht wirklich bewusst, fühlen sich in einem tunnelhaften Rausch, der alle Störfaktoren ausblendet. Das hat die Evolution für uns so eingerichtet. Der Fortpflanzung wird alles untergeordnet, auch das ästhetische Empfinden unserer Geruchszellen. Die haben dafür stets die Oberhand, wenn Wein im Glas ist. Ob der nach Sauerkraut riecht oder nach Rosen, es wird knallhart bewertet.