Ein Reisebus auf einer Landstrasse. Die Fahrgäste: Polnische Winzer auf dem Weg zum jährlichen polnischen Winzerkongress. Man mag das für einen Kalauer hatten, etwas wie die „holländischen Berge“. Doch Obacht: die polnischen Winzer sind nicht zum Scherzen aufgelegt, sie nehmen ihr Handwerk sehr ernst. Und sie können sich auf eine ähnliche Tradition berufen, wie viele stolze Weinnationen Europas auch.

Ein Handy klingelt. Roman Myśliwiec hebt ab: „Guten Tag, ich bin auf der Suche nach Informationen zum polnischen Weinbau und Sie scheinen der richtige Ansprechpartner zu sein“, tönt es aus dem Telefon, das auf Lautsprecher gestellt ist, sodass jeder mithören kann. Ich bin Fahrgast in diesem Bus. Und ich bin richtig gelandet: Bei dem Mann, der alles über polnischen Weinbau wissen muß. Gleich werde ich ihn ebenfalls zu dem Thema befragen. Wie so viele, denn Myśliwiec ist ein derzeit sehr begehrter Gesprächspartner.

Doch zuerst mal Szenenwechsel. Jahrhundertwechsel. Ende des 17. Jahrhunderts wird Polen zwischen Russland, Preußen und Österreich aufgeteilt und verschwindet dadurch von der Europakarte. Die Stadt Grünberg -  ca. 2,5 Stunden östlich von Berlin gelegen und heute unter dem Namen Zielona Gora auf Landkarten firmierend - liegt im bis 1945 zu Deutschland gehörigen Schlesien. Und dieses Grünberg ist ein historischer Ort der deutschen und polnischen Weinkultur gemeinsam.

Der erste deutsche Sekt wurde 1824 aus Grünberger Trauben gekeltert.

Die Geschichte des Weinbaus rund um Grünberg reicht bis ins 13. Jahrhundert zurück. Nachweislich erstmals erwähnt wurde der Weinanbau hier im Jahr 1314. Vermutlich pflanzten die Zisterzienser- und Benediktinermönche die ersten Reben an. Grünberg war über Jahrhunderte Deutschlands nordöstlichste Weinregion. Im Jahr 1900 wurden hier auf einer Fläche von 1500 Hektar rund drei Millionen Liter Wein produziert.  Der erste deutsche Sekt wurde 1824 von der „Grempler & Co. A. G. Älteste Deutsche Sektkellerei“ 1824 aus Grünberger Trauben gekeltert. Der historische Boden der deutschen Winzersekte liegt also im heutigen Polen. Nicht, dass das noch einer wüsste.

Knapp hundert Jahre später brach der Goldrausch unter den schlesischen Sektproduzenten aus: Sie profitierten von dem 1918 im Versailler Vertrag verhängten, völlig unsinnigen, französischem Embargo, das den Export von Champagner ins Deutsche Reich verbot. Dadurch etablierte sich der Grünberger Sekt im mondänen Berlin der Goldenen Zwanzigerjahre als erster Schaumwein seiner Zeit.

Grünberger Sekt das Getränk No. 1 in den 1920er Jahren

Dieses Verkaufsverbot wurde von den Franzosen bald als Idiotie begriffen und zurückgenommen. Doch dann kam schon die Hitlerei und unter jener war der Konsum französischer Produkte politisch nicht erwünscht. Einmal mehr wurde die Produktion in Grünberg angeworfen. 1938 – dem letzten Vorkriegsjahr – wurden in der schlesischen Weinmetropole 800 000 Flaschen Sekt produziert. Kriegsbedingt kam die Produktion 1944 zum Erliegen. Die polnische Verwaltung, die im Frühjahr 1945 in Schlesien eingerichtet wurde, ließ den Schaumwein fallen, denn zu Zeiten des Sozialismus galt Wein in Polen als nicht parteikonform. Das brachte Grünberg wieder hinter den Vorhang. Den eisernen. Aber auch hinter den kulinarischen Vorhang.

Der Grünberger Weinbau war aber nicht ganz verschwunden, denn er hatte vor seiner Reduktion immerhin internationale Spuren hinterlassen. Die Vorfahren zweier Spitzenwinzer im australischen Barossa Valley, Peter Lehmann und Johann Christian Henschke, stammen aus der Grünberger Gegend. Europa, diesen unsicheren Boden, tauschten sie mit einer riesigen Insel, auf der man erstaunlicherweise auch Wein anbauen konnte.

Roman Myśliwiec, der polnische Vorzeigewinzer.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Wiedereintritt Polens in die Marktwirtschaft, kamen auch die Winzer nach Grünberg zurück, polnische Winzer in das polnische Zielona Gora, die an eine deutsche  Weinhistorie anknüpfen.

So geht Europa.

Zurück im Bus. Ich spreche mit Roman Myśliwiec (sprich „Michliwiec“), polnischer Vorzeigewinzer, Jahrgang 1948, leidenschaftlicher Fotograf und passionierter Bergsteiger.

Seine langen, schwarzen Haare trägt er zu einem akkuraten Zopf gebunden, sein Bart ist sauber zurechtgestutzt und die für sein Alter sehr sportliche Statur ist Resultat unzähliger Gipfelsiege in  Tatra, Hindukusch und Himalaya.  

„Polnischer Wein hat eine große Zukunft“, sagt Myśliwiec, „aufgrund unserer Geschichte, fingen wir quasi bei Null an. Während des Sozialismus gab es hier praktisch keinen aktiven Weinbau. Das Wissen und die Erfahrung von Generationen ist verloren gegangen.

Heute sind wir in Polen rund 150 Winzer, die im Land so um die 1000 Hektar bewirtschaften.“

Und wie steht es um den geschichtsträchtigen Grünberger Weinbau?

„Derzeit hat der Grünberger Wein leider keine Bedeutung mehr“, erklärt Myśliwiec.„In den südlichen Regionen, nahe der slowakischen Grenze, dem Karpatenvorland und Kleinpolen, rund um Krakau, ist die Entwicklung des Weinbaus sehr dynamisch – selbst in Zentralpolen passiert mehr als um Grünberg herum.“

Myśliwiec pflanzte bereits 1982 seine ersten Reben im Karpatenvorland, zwei Stunden östlich von Krakau. Er experimentierte mit vielen verschiedenen Rebsorten, baute eine Rebschule auf und züchtete sogar eine eigene, perfekt auf das polnische Klima angepasste Sorte namens Jutrzenka (Kreuzung aus Villard Blanc und Pinot Blanc). Ausserdem ist er Verfasser zahlreicher Standardwerke zum Weinbau in polnischen Gefilden, zudem häufig konsultierter Fachmann und Gründer der polnischen Weinakademie.

Absolut überzeugt vom Terroir Polski.

„Wir sind von unserem Terroir Polski überzeugt“, erläutert Myśliwiec, „vor allem die Weißweine gelingen uns sehr gut. Die besten wachsen in Steillagen auf lehmigen Böden, sind mineralisch und elegant und können bei internationalen Wettbewerben mit Weinen aus renommierten Weinbaugebieten mithalten.“

Aber woher kommt die Neugier der Polen am eigenen Wein?

"Heute hat Polen rund 150 Winzer, die  um die 1000 Hektar bewirtschaften."

„Zur Zeit des Sozialismus existierte nur die so genannte „Gorzka-Kultur“, die Wodkatrinkerei,  rübergeschwappt vom proletarischen Osten, sprich Russland,“ erklärt Polens umtriebigster Winzer nicht ohne etwas bitterem Sarkasmus. „Nach dem Ende des Warscheuer-Paktes haben die Polen dann viel von dem nachgeholt, was zur Zeit des Sozialismus nicht möglich oder machbar war. Sie sind gereist, haben in Frankreich, Spanien und Italien die dortige Ess- und Trinkkultur und somit auch die kultivierte, westliche Lebensart kennen und lieben gelernt. Diese Leute sind heute auch die typischen Konsumenten polnischer Weine: Gebildet, bürgerlich, weltläufig und weinversiert. Das sind eben die Kunden, die Preise zu zahlen bereit sind, die bei 10-12 € pro Flasche beginnen. Das Interesse der Polen für polnischen Wein und polnischen Weinbau wächst stetig.“ 

Und mal ins Reden gekommen, fährt Roman Myśliwiec im überzeugten Ton fort: „Besonderes Potential sehe ich in der polnischen Sektproduktion. Die ist aber zu Beginn sehr kapitalintensiv. Das ist das, was dem polnischen Weinbau noch fehlt: Ein finanzstarker Pionier, der an die Grünberger Tradition anknüpft und die große Sekt-Renaissance einleitet. Das Potential ist da und die Nachfrage auch!“

Übersicht der wichtigsten polnischen Weinbaubetriebe:

Quelle: Biale Czerwone Festival Wino Polskiego

Schluck empfielt diese polnischen Weingüter:

Dom Bliskowice

Winnica Milosz

Winnica Roman Myśliwiec

Winnica Smolis

Winnice Wzgorz Trzebnickich

Winnica Turnau

Winnica Wieliczka