Im Weingut der Familie, das mitten in Flörsheim liegt, wollten sich Bianka und Daniel Schmitt lange Zeit nicht zum Gespräch treffen. Alles sei beengt, der Wein von inzwischen 26 Hektar Reben musste an verschiedenen Plätzen im Dorf ausgebaut werden. Deshalb hat das junge Winzerpaar 2021 begonnen am Ortsrand von Flörsheim ein neues Weingut zu bauen, den Alexanderhof, benannt nach dem acht Jahre alten Sohn. Der Alexanderhof sprengt viele Vorstellungen eines konventionellen Weinguts, wie sich in dieser Geschichte noch zeigen wird.

Eine kuriose Geschichte.

Es lag vor allem an den atmosphärischen Verstimmungen innerhalb der Familie, warum die beiden sich zu diesem ungewöhnlichen Projekt entschlossen: Als sich Bianka und Daniel Schmitt 2012 im Familien-Weingut kennen lernten und Hals über Kopf ineinander verliebten, begann bald eine kleine Revolution in Flörsheim.

Der rheinhessische Winzersohn und die ungarische Winzerin begannen sich für Naturwein zu begeistern– ein Affront im önologischen Hinterland, wo man gemeinhin auf die technischen Möglichkeiten des konventionellen Weinbaus vertraut – ohne große Risiken, aber auch mit Resultaten, die wirklich niemanden elektrisieren konnte.

Die Beziehung der beiden trieb auch einen Keil zwischen die Schmitts, da die Eltern überhaupt nicht mit ihr einverstanden waren. Seine Eltern zählten zu einer „konservativen Generation“, sagt Daniel Schmitt knapp dazu. Peter Schmitt, der Vater von Daniel, bewirtschaftete seine Weinberge zwar ökologisch, verfolgte aber ansonsten andere Ideen:

Ein Generations-konflikt bahnte sich an und eskalierte.

„Seine Weine hatten mehr Restsüße“, weiß der Sohn, im Anbau war auch reichlich Dornfelder, der als Fasswein verkauft wurde.

Ein Generationskonflikt bahnte sich an, der schließlich eskalierte: Die beiden zogen 2013 aus und wohnten in Dalsheim, dem anderen Teil der Doppel-Gemeinde Flörsheim-Dalsheim. Seit vergangenem Herbst leben sie im Alexanderhof und sind immer noch dabei, ihre unzähligen Ideen umzusetzen. Die letzte Ernte wurde unter „anstrengenden Bedingungen“ ausgebaut, wie Bianka Schmitt erzählt, viel Improvisation war gefragt, aber die ist dem Winzer-Paar längst zur Gewohnheit geworden.

 

Es ist eine kuriose Geschichte, wie Bianka und Daniel Schmitt zusammenkamen und sich innerhalb weniger Jahre einen Namen in der europäischen Naturwein-Szene machten. Wobei, und das ist Teil ihrer Evolution, sie gar nicht mehr in „diese Schublade gesteckt werden wollen“. Bianka Schmitt, die in Budapest Weinbau studierte, kam mit 21 nach Flörsheim-Dalsheim, um ein Praktikum im Weingut Schmitt zu absolvieren, das seit 2010 bio-zertifiziert ist. „Ich wollte lernen und mich auf den Wein konzentrieren“, erzählt die charakterstarke Winzerin, deshalb suchte sie nach einem Weingut, „in dem mich keine Jungwinzer ablenken konnten“.

Der Frauenberg: unser deutsch-ungarische Freundschaftsweinberg.
Naturbelassener Wein als Kulturschock

Auf der Webseite des Weinguts entdeckte sie auch Daniel Schmitt und taxierte ihn auf etwa 15 Jahre. Eine Fehleinschätzung, der Winzer ist drei Jahre älter als sie, die Homepage war längere Zeit nicht mehr aktualisiert worden. Als sie am Bahnhof ankam, wartete der „Sunnyboy mit langen Haaren“, um sie abzuholen. Es kam, wie es kommen sollte, die beiden verliebten sich schnurstracks ineinander. „Das war Schicksal“, sagt die Winzerin. Die Eltern aber hatten andere Vorstellungen von der Zukunft ihres Sohnes: „Ich war nur die Praktikantin, die kein Deutsch konnte“– und die dazu noch begann, alles auf den Kopf zu stellen: Die Konflikte waren vorprogrammiert.

 

Es war ein dynamischer Prozess, der sie in Richtung „naturbelassene Weine“ brachte, wie Bianka Schmitt erzählt. Auslöser war 2012 ein Besuch beim biodynamisch arbeitenden Winzer Patrick Meyer im Elsass. „Wir waren total begeistert“, schwärmen die beiden, sie gerieten sofort in Meyers Sog, es gab kein Halten mehr. Daniel Schmitt erinnert sich noch genau an einen ungeschwefelten Riesling aus dem Jahrgang 2005, „der noch total stabil war“.

Seitdem verbindet das Winzerpaar auch die Leidenschaft für „naturbelassene Weine, die in echter Balance zwischen Mensch und Natur entstehen“. Sie starteten ihre eigenen Versuche, ließen die Trauben lange auf der Maische liegen, reduzierten rigoros den Schwefelanteil und experimentierten auch mit Amphoren.

Es war ein dynamischer Prozess, der die Schmitts in Richtung naturbelassene Weine brachte.

Im Weingut trafen Meinungen und Prinzipien unversöhnlich aufeinander. Und auch außerhalb „bekamen wir viel Gegenwind“, weiß Bianka Schmitt aus Erfahrung. Als sie die Winzer-meisterschule in Alzey besuchte, lernte sie im Kurs ausschließlich mit konventionell arbeitenden Winzern. Man werde immer noch belächelt, wenn man „etwas anders macht“, sagt sie. Das sei zunächst auch in Flörsheim-Dalsheim so gewesen, wo es lange hieß: „Die Schmitts mit ihrem trüben Zeug. Aber bald erkannten die anderen Winzer, dass es bei uns funktioniert.“

"Unser Geschmack ist erwachsener geworden, wir müssen nicht mehr provozieren.“

Um ihre Ideen durchzusetzen, brauchte es eine gewisse Radikalität, die das junge Winzerpaar aus Überzeugung lebt: „Wir tanzen nie nach anderen Wünschen und sind sehr egoistisch, wenn es darum geht, Weine nach unserem Geschmack zu machen.“ Halbgare Kompromisse einzugehen, ist nicht ihr Ding. „Wir haben oft überlegt wegzugehen“, sagt Bianka Schmitt, die schon nach Weingütern in Neuseeland Ausschau hielt. „Aber wir hatten damals nicht das Selbstbewusstsein, um diesen Schritt zu gehen“, ergänzt ihr Mann, der sich auch schwer tat seine Heimatregion zu verlassen, wo er noch immer bei der Freiwilligen Feuerwehr aktiv ist.

Bianka und Daniel Schmitt ziehen gemeinsam an einem Strang. Unkonventionell. Und unermüdlich.

Bianka Schmitt gestaltete die bunten und unorthodoxen Etiketten der Weine, die Namen wie „Frei.Körper.Kultur“ tragen. Neben „2 Naturkinder“ aus Franken zählte das Paar zu den ersten Winzern in Deutschland, die konsequent unkonventionell arbeiteten, es bildete den Kern einer rasch wachsenden Bewegung, die unter dem Label Naturwein läuft. Ihre Stilistik hat sich jedoch längst weiterentwickelt, „wir haben am Anfang alles ausgereizt. Unser Geschmack ist erwachsener geworden, wir müssen nicht mehr provozieren“, sagt Daniel Schmitt. Die Trübheit eines Weines sei für sie kein entscheidendes Kriterium mehr für die oft bemühte Authentizität. Eine zu lange Maischestandzeit könne auch den Lagen-Charakter unterdrücken und wenn man den Weinen viel Feinhefe belässt, nehme man die Nuancen im Wein nicht mehr wahr.„Hefe schützt den Wein, wenn man wenig schwefelt“, erklärt der Winzer, „aber man muss sie nicht trinken.“

Die Naturwein-Szene boomt, aber Bianka Schmitt empfindet es manchmal „fast als diskriminierend“, dazu gerechnet zu werden, weil Naturwein gerne auf wenig Schwefel reduziert werde: „Überall heißt es zero, zero. Ich kann diese Floskeln nicht mehr hören. Es geht um viel mehr, um Pflanzenschutz, um Biodiversität und um Respekt auf der menschlichen Ebene.“

Die Kategorie der Naturweine ist ihnen längst zu eng und zu dogmatisch geworden, „wir arbeiten bio-dynamisch mit möglichst wenig Eingriffen und möglichst wenig Schwefel. Aber unsere Weine müssen sauber und fehlerfrei sein“, das sei oberste Priorität.

„In unserem neuen Keller haben wir ganz andere Möglichkeiten.“ Dort werden die Weine in Holzfässern und Amphoren in verschiedenen Größen ausgebaut, die schon bereit stehen, „um eingebuddelt zu werden“.

„Die Kategorie Naturweine ist uns zu dogmatisch geworden. Ich kann diese Floskeln nicht mehr hören. Es geht um viel mehr, um Pflanzenschutz, um Biodiversität und um Respekt auf der menschlichen Ebene."

Das Winzer-Paar steht im Nieder-Flörsheimer Frauenberg vor dem Weinberghäuschen, das die Familie dort erbaut hat, die Rebzeilen fallen nach unten ab in die leicht gewellte und hügelige Landschaft. Der Horizont ist weit, es ist schön im Wonnegau, man versteht, warum Daniel Schmitt an ihm hängt. Im Frauenberg wächst viel Riesling, er zählt zu den besten Lagen in Rheinhessen, hier sind auch Winzer wie H.O. Spanier und Klaus Peter Keller vertreten. Bianka und Daniel Schmitt haben auch Furmint und Kékfrankos gepflanzt, wie Blaufränkisch in Ungarn heißt. „Das ist der deutsch-ungarische Freundschaftsweinberg“, sagt der Winzer.

Die 26 Hektar Reben verteilen sich auf mehrere Standorte, auch in Kriegsheim und Monsheim bewirtschaften sie Parzellen. Inzwischen wurden auch einige Rebsorten ausgetauscht: Peter Schmitt hatte „auf den schönsten Kalksteinlagen“ Dornfelder angepflanzt, da wächst inzwischen Furmint. „Da war kein Verständnis für Lagen und Herkunft vorhanden. Mein Vater hatte 28 Rebsorten und verzettelte sich dabei“, sagt Daniel Schmitt. Aber sie seien auch dankbar, dass er Rebsorten wie Chardonnay anlegte, „davon profitieren wir heute“, sagt Bianka Schmitt, die schnell das kalkhaltige Terroir der Spitzenlagen im Wonnegau schätzen lernte.

„Die Weine schmecken salzig, das kannte ich von Ungarn nicht. Das hat mich fasziniert.“ Ihr Sortiment haben sie gestrafft und den „Sortenspiegel umgestellt“, dabei sind neben Furmint und Kékfrankos vor allem Riesling, Spätburgunder und Chardonnay in den Mittelpunkt gerückt.

 Es kann ungemütlich werden, wenn man gegen den Strom schwimmt, das bekamen die Schmitts bald zu spüren.

Im Dorf, in dem 3000 Einwohner leben, beobachtete man von Anfang an misstrauisch, was das unkonventionelle Paar unternahm, das schon 2013 den ersten Wein in Amphoren ausbaute.

Wetter- und Stimmungslage im Rheinhessischen Örtchen Flörsheim.

Es kann ungemütlich werden, wenn man gegen den Strom schwimmt, das bekamen die Schmitts bald zu spüren. Während die Weine im Wonnegau auf Unverständnis trafen, „haben wir aber auch gesehen, wie andere Leute auf sie reagieren. Unsere Weine erzeugen Stimmung und Gefühle“, weiß Bianka Schmitt. Gerade im Ausland wurden sie für ihre Weine gefeiert, die dort in den besten Restaurants ausgeschenkt wurden wie im „Noma“ und „Geranium“ in Kopenhagen.

"Unsere Weine erzeugen Stimmung und Gefühle.“

Auch heute noch exportierten sie in über 40 Länder, „aber in Deutschland kennen uns nicht so viele“. Vor zwei Jahren wurden sie in den erlesenen Kreis der Winzervereinigung „Renaissance des Appellations“ aufgenommen, die der französische Biodynamie-Vordenker Nicolas Joly gegründet hatte, dessen Tochter Virginie zu ihrem Freundeskreis zählt. „Was wir draußen erlebt haben und immer noch erleben, gibt uns Selbstbewusstsein“, sagen die beiden.

Die Schmitts glauben an ihre Arbeitsweise und Philosophie, auch von der Pandemie ließen sie sich nicht abhalten, ihre Pläne umzusetzen. Das Paar nahm Kredite auf und ging ein hohes Risiko ein, es fühle sich immer noch manchmal so an, „als ob wir dem Teufel die Seele verkaufen“, sagt Bianka Schmitt. Aber die Freude sei viel stärker als die Angst zu scheitern.

Bei der Arbeit und im Leben allgemein sieht sich das ungleiche Paar als gleichberechtigt an und „führt Diskussionen auf Augenhöhe“. Bianka Schmitt ist dabei mutiger, ungeduldiger und radikaler, „auch eine Frau kann dicke Eier haben“, sagt sie. Ihr Mann schöpft aus einem gelassenen, rheinhessischen Naturell. Aber oft wird er von ihrer ungebändigten Energie mitgerissen. Es ist ein unorthodoxer Lebensstil, der nicht bei den Weinen Halt macht. „Ich will frei sein“, sagt die Winzerin, um Konventionen schert sie sich nicht, sie wehrt sich dagegen, in das traditionelle Frauenbild gepresst zu werden:

"Auch eine Frau kann dicke Eier haben!"

„Ich bin Winzerin und will nicht Kuchen backen für die Feuerwehr und Kinder zur Welt bringen. Mein Geist braucht es rauszukommen aus Rheinhessen und ein Stück Welt mit nach Hause zu bringen.“

Aber manchmal verfolgt die Natur andere Pläne: Während der letzten Lese merkte sie überraschend, dass sie schwanger ist, vor wenigen Wochen kam Tochter Zoé Katharina zur Welt. Aber für die Feuerwehr habe sie immer noch keinen Kuchen gebacken, es gehe für sie auch „um Respekt: Ich will keine der Frauen sein, die hübsch aussehen und nebendran stehen sollen.“

Der Alexanderhof liegt etwas außerhalb von Flörsheim auf einem Feld, Nachbarn gibt es hier keine. Aussiedlerhof nannte man das früher, aber das neue Weingut soll genau das Gegenstück sein, ein Anziehungspunkt für ähnlich Denkende und „eine Plattform für Kommunikation in der biodynamischen Szene“. Zum Entwurf gehören auch ein Gemüsegarten, eine Viehweide und ein eigener Brunnen. Im Weingut ist eine Vinothek und ein gastronomischer Bereich untergebracht mit Pop-Up-Restaurant und wechselnden Gastköchen – alles im Zeichen der Biodynamie. Sogar Platz für Künstler und Ausstellungen ist eingeplant, auch Weine von befreundeten Weingütern aus mehreren Ländern sollen präsentiert werden. Das neue Weingut soll Offenheit spiegeln: „Wir wollen eine andere Kultur einführen und bewusster leben“, sagt Bianka Schmitt.