Terroir – das Zauberwort. Nur ein „i“ trennt es vom Horror Terror. Doch Terroir hat Romantik, hat Magie; Terroir erklärt, warum mein Wein so schmeckt, wie er schmeckt.
Terroir ist aber auch zur Ausrede für verquasten Geschmack geworden.
Terroir – das Zauberwort. Nur ein „i“ trennt es vom Horror Terror.
Und manch französischer Sommelier (auch in Sternerestaurants) verklärt selbst einen Korkschmecker zum Terroir.
Apropos Frankreich, apropos Terroir: In der Grande Nation (beim Weinbau ja heute noch zutreffend) wurde schon mit dem Aufkommen der Appellations d’origine contrôlées vor rund hundert Jahren damit begonnen, Rebsorten, bestimmte Geschmacksprofile und Macharten für Regionen zu definieren. Denken wir beispielsweise an die nur durch die Loire getrennten Gebiete Sancerre und Pouilly Fumé. In beiden Appellationen ist der Sauvignon Blanc die wesentliche Rebsorte. Im Sancerre sind die Weine eher elegant-puristischer Natur; im Pouilly Fumé sind sie dann breiter mit mehr Schmelz und Tiefgang.
Gier nach Regionalität und Individualität
Die Welt verliert sich in der Globalisation. Deswegen sehnen sich mehr und mehr Menschen nach einer Heimat, nach Region (nicht zwingend nach der eigenen) und nach Produkten, die aus dieser Region stammen: Produkten, welchen sie vertrauen können. Regionalität führt auch zu einer Rückbesinnung und Neubewertung alter Wurzeln: Fast verschwundene Obst- und Gemüsesorten und alte Rebsorten werden wieder angebaut.
Natürlich geht es auch um eine differenzierte Geschmackswahrnehmung. Das Schlagwort, das auch mitunter zum Modewort verkommt, heißt Individualität. Der Konsument hat es satt, den globalisierten Einheitsbrei zu trinken. Während früher große Marken Garant für gute Produkte waren, so werden heute immer weniger Waren nur wegen ihres Namens gekauft. In diesem Jahr ist dieser Trend sogar in der Autoindustrie angekommen. In unserer komplexen, global vernetzten Welt ist Vertrauen ad hoc nicht mehr gegeben.
Terroir – vom Trend zur Selbstverständlichkeit
Terroir bedeutet Land und Boden.
Terroir hat Romantik, hat Magie; Terroir erklärt, warum (m)ein Wein so schmeckt, wie er schmeckt.
Das Wort entstammt dem lateinischen Terra und ist eine Kreation der Franzosen. Terroir begann zu boomen, als vermehrt gut gemachte Weine aus der so genannten Neuen Welt die alte Ordnung durcheinanderbrachten und das Regionale hintangestellt wurde. Man brauchte ein Schlagwort, das die traditionelle Weinherstellung und Weinkultur der Alten Welt von der Neuen Welt unterschied.
Es gibt unzählige unterschiedliche Auffassungen von Terroir, denn Terroir kann Weinberg, Keller und Klima bedeuten. Die wahrscheinlich beste und schlüssigste Definition von Terroir gibt der Geologe James Wilson. Er sagt: „Terroir umfasst alle physischen Elemente des Weinberges wie die Rebe selbst, die tieferen Bodenschichten, die Lage, den Wasserabzug und das Mikroklima. Doch darüber hinaus sei der geistige Aspekt sehr wichtig, wie die Freude, der Schmerz, der Stolz, der Schweiß und die Rückschläge einer langen Geschichte.“
Regionen, die kommen
Wir kennen Calce, wir kennen Eisenberg, wir kennen das Priorat. Alle drei Regionen sind Beispiele für eine gelungene Durchsetzung von Terroir als Zusammenfassung von Land, Leuten, Klima, Boden und Machart.
Doch welche Regionen, egal welcher Größe, werden wir in den nächsten Jahren noch entdecken können? Wo ist Terroir abzuholen?
Wir haben sechs Beispiele recherchiert.
1. Savoyen
Savoyen eine der höchstgelegenen Regionen Europas. Und sie hält mit dem Montblanc den höchsten Berg des Kontinents in Besitz. Gleichzeitig ist das weit verstreute, rund 1.800 Hektar große Weinbaugebiet eine der niederschlagsreichsten Regionen Frankreichs. Zudem sinken die Temperaturen aufgrund der Höhe an rund 80 Tagen des Jahres unter den Gefrierpunkt. Aus diesem Grund findet man (neben Gamay und Chenin-Blanc) hier auch noch viele, dem Klima angepasste, lokale Rebsorten.
Die spannendsten Weine werden aus Trauben der autochthonen Rebsorten Mondeuse (rot), Altesse und Gringet (weiß) gekeltert. Von Grignet gibt es derzeit weltweit nur noch lächerliche zwanzig Hektar. Die Rebstöcke wurzeln meist auf Granit oder Kalkstein.
Trink mein Terroir: Domaine Belluard Gringet „Les Alpes“
2. Côte Roannaise
Diese kleine, nur 220 Hektar umfassende Appellation liegt am oberen Lauf des Flusses Loire – 40 Kilometer westlich der Weinbauregion Beaujolais. Wie im Beaujolais wird auch in der Roannaise fast ausschließlich Gamay angebaut, die Reben wurzeln mehrheitlich in Granitböden. Die Winzer der Côte Roannaise legen großen Wert darauf, einen alten autochthonen Klon, den Gamay St. Romain, zu kultivieren, der als sehr viel hochwertiger gilt, als jener, der im Beaujolais in den Weinbergen steht. Die Côte Roannaise ist der Beweis dafür, dass aus der oft nicht zu unrecht geschmähten Sorte Gamay auch charaktervolle, ausdrucksstarke Säfte gekeltert werden können.
Die Rebflächen liegen auf einer Höhe von 350–550 m in Hanglagen der Monts de la Madeleine (Massif Central). Die Gebirgskette trennt die Flusstäler der Loire und des Allier und schützt das Weinbaugebiet vor feuchten Luftmassen aus dem Westen.
Trink mein Terroir: Domaine des Potiers Côte Roannaise „Domaine“
3. Gattinara
Das Anbaugebiet Gattinara gehört zu den kleinsten Appellationen Italiens. Auf lediglich 94 Hektar wird hier, an den letzten Ausläufern der Alpen, Nebbiolo angebaut. Die Weine aus Gattinara sind schon aufgrund der geringen Anbaufläche bei weitem nicht so bekannt wie jene aus Barolo oder Barbaresco.
Das war jedoch nicht immer so. Vor einem Jahrhundert genoss Gattinara ein höheres Ansehen als Barolo oder Barbaresco. Als es jedoch die örtlichen Arbeiter nach dem Zweiten Weltkrieg in die neu gegründeten Textilfabriken um Mailand zog, verlor der Weinbau schnell an Reiz und Rebfläche. Doch die Stöcke wachsen wieder und die besten Weine des Gattinara können – wie schon früher - qualitativ mit den anderen Prestigeregionen des Piemont leicht mithalten.
Die Böden im Gattinara sind vulkanischen Ursprungs und daher sehr reich an Mineralien; die Weine hier haben wegen der Höhenlage des Anbaugebiets immer ausreichen Säure; Wasser rinnt genug vom Berg – das ist vor allem in Zeiten zunehmender Trockenheit sehr wichtig.
Trink mein Terroir: Azienda Nervi Gattinara „Molsino“ DOCG
4. Vipava-Tal
Vipava, das Tal eines gleichnamigen Flusses in Slowenien, liegt jeweils rund eine Stunde Autofahrt von der slowenischen Hauptstadt Ljubljana, der Adria und der österreichischen Grenze entfernt. Das Klima Vipavas ist von zahlreichen Sonnenstunden und reichlich Regen geprägt. Ein Glück, dass es da noch die Burja gibt, ein Wind aus den Gebirgen des Balkans. Er ist der große Freund der Winzer, da er viele Schädlinge abhält, sich in Vipava auszubreiten. Die Weinberge hier erstrecken sich auf der Ebene, am Hang, auf Hügeln oder auf kleinen Terrassen.
Die Reben stehen auf Flysch, Sandstein, Mergel und Kalkstein. Neben Pinot-Noir, Merlot, Sauvignon und Chardonnay, werden hier auch die viel interessanteren, autochthonen Sorten Malvazia, Rebulla, Zelen und Pinela angebaut. Besonders interessant: Vipava ist die einzige Region außerhalb des Piemont, wo schon seit Jahrzehnten Barbera gekeltert wird. Der österreichische Winzer Hannes Sabathi hat erst vor wenigen Tagen gemeinsam mit anderen Partnern die Kellerei der örtlichen Genossenschaft übernommen – eigentlich wächst jetzt nur zusammen, was immer schon zusammengehörte.
Trink mein Terroir: Batic „Zaria“
5. Das Zellertal
„Pfälzisch Sibirien“ - so nennen die Einheimischen ihre Region. Man kann sich denken, warum. Durch das Zellertal - das man sich nicht wie ein Alpental vorstellen sollte - verläuft die Grenze zwischen Rheinhessen und der Pfalz. Topographisch, geologisch und klimatisch hat das Gebiet kaum etwas mit der restlichen Pfalz gemein. Eher mit Rheinhessen. Die Weingärten sind hier ungewöhnlich hoch gelegen (bis zu 300 Meter), die Rebstöcke stehen auf massiven Kalksteinböden mit Toneinlagerungen, kühle Winde trocknen die Trauben und schützen sie so vor Pilzbefall. Die beste Lage des Zellertals heißt Schwarzer Herrgott.
Riesling ist die maßgeblichste Sorte hier. Das obwohl es auch noch andere, weniger aufregende Rebsorten hier gibt. Die Weine aus Zell – vor allem jene vom Schwarze Herrgott – rangierten um die Jahrhundertwende unter den teuersten Kreszenzen der Pfalz und sorgten für Ruhm und Reichtum im ganzen Tal. Davon kann man sogar jetzt noch ahnen, wenn man manche Gebäude und Höfe aus jener Zeit durchschreitet.
Trink mein Terroir: Schwedhelm Riesling Schwarzer Herrgott
6. Schleswig-Holstein
Sie lesen richtig! Schleswig-Holstein! Freilich ein junges Gebiet (seit 2008). Und ein Produkt der Klimaerwärmung. Doch Weinbau hat in Holstein (mehr als in Schleswig) entgegen landläufiger Meinung durchaus Tradition. Während der mittelalterlichen Warmphase, in welcher man in Europa fast hundert Jahre auf Krieg verzichtete, wuchsen in Holstein Weinreben mit Tomatenstauden in sonnenbeschienener Eintracht. Mitte des 16. Jahrhunderts aber machte die "Kleine Eiszeit" dem Weinanbau im Norden Deutschlands ein Ende. Es begann die Epoche der Biere. Und der Kriege.
Das Klima Schleswig-Holsteins ist von den umgebenden Meeren beeinflusst. Das heißt milde, regenreiche Winter ohne Frostgefahr sowie mäßig warme Sommer mit günstiger Niederschlagsverteilung. Der maritime Einfluss begünstigt die Ausprägung der fruchtigen Aromen im Wein. In den letzten 20 Jahren ist es in allen deutschen Weinbaugebieten um rund ein Grad wärmer geworden. Aus Sicht der Winzer und des Weinbaus ist der Norden Deutschland ein Gewinner des Klimawandels. Und er wird wohl das Rückzugsgebiet des Rieslings werden, denn die heute hier angepflanzten „Sondersorten“ Solaris, Cabernet-Cortis und Regent, werden den besseren Sorten weichen. Und so auch der Klimaerwärmung.
Trink mein Terroir: Melanie Engel Solaris
Anmerkung:
Dieser Artikel stammt aus dem Jahr 2017, Schluck Magazin #5 "Agenda 2020". Einige Regionen wie das französische Savoyen oder das Pfälzer Zellertal sind schon von einigen Sommeliers und Weinhändlern entdeckt worden und werden heiß gehandelt. Die anderen kann man wieder auf die Agenda 2025 setzen - neben einigen weiteren. Welche das sein werden? Daran arbeiten wir gerade und trinken uns durch die Weinwelt.