Es gibt Restaurants, die fühlen sich an, als wären sie schon immer da gewesen. Das „Matthias“ im Berliner Kiez Prenzlauer Berg ist so eins. Schon nach ein paar Minuten fühlt man sich, als wäre man im Wohnzimmer guter Freunde gelandet – nur dass die Freunde Spitzenköche sind.
Hinter dem Laden stehen zwei, die wissen, was sie tun: Janine Woltaire, Gastgeberin mit Herz, und Silvio Pfeufer, der Mann am Herd. Beide sind keine Unbekannten, um es mal charmant zu untertreiben. Silvio hat an der Seite von Jan Hartwig das Atelier in München von einem auf drei Michelin-Sterne hochgekocht und später im Facil sowie im einsunternull gezeigt, dass er sein Handwerk beherrscht. Und Janine? Sie hat Stationen von Cinco by Paco Pérez, Hallmann & Klee übers Horváth bis Rutz (von ein bis drei Sterne) durchlaufen und wurde nicht umsonst zur „Gastgeberin des Jahres“ gekürt.
Und dann sind da auch noch der ehemalige 2-Sterne-Sommelier Michael Stiel (früher Horváth) und Sous-Chef Milan Schock, Silvios Kollege im einsunternull. Alle zusammen sind eine Art „All-Star-Team“, doch ohne steife Attitüde, wie man sie erwarten könnte, sondern Freunde, die gerne zusammen arbeiten, wie sie es am allerliebsten haben: unaufgeregt, geschmackvoll, auf Augenhöhe.
Aber wer ist eigentlich „Matthias“? Er schwingt hier nicht die Kochlöffel, ist aber trotzdem allgegenwärtig. „Matthias“ ist eine Hommage an Silvios Großvater, der im gleichen Kiez früher eine Metzgerei hatte. Eine Wertschätzung von Tradition und Handwerk. Tradition, ohne verstaubte Rezepte und Handwerk, das man mit jedem Bissen schmecken soll.
Warm welcome!
Sommelier Michael Stiehl begrüßt uns mit einem schelmischen Lachen und klingenden Gläsern, während er noch mit zwei Flaschen jongliert: Champagne Extra Brut aus dem Hause Bonnet-Ponson und der „Tradition Brut“ des Senkrechtstarters der deutschen Sektszene Burkhardt-Schür. Dazu gibt es eine herrlich erwärmende Essenz von der Röstzwiebel und Wurzelgemüse. A very warm welcome!
Dann geht es los mit den ersten Snacks, die wie kleine Kunstwerke serviert werden: Mini-Tartelette mit einer Creme aus Topinambur, Zwiebel und Johannisbeer-Granité, eine Croustade mit Lachstatar, XO-Sauce und Bentoflocken und ein Profiterol, gefüllt mit Bergkäse und Kombu-Alge. Lecker! Kann man nicht anders sagen!
Kleine Weinkarte, aber mit Biss
„Unsere Weinkarte ist klein und nicht sehr progressiv für Berlin“, meint Sommelier Michael Stiel. „Wir sind noch am Ausprobieren und wollen herausfinden, wie sich unser Kiez hier anfühlt und was unsere Gäste sich wünschen“. Zugegebenermaßen: die Weinkarte ist klein, aber es ist trotzdem schwer sich zu entscheiden, weil sich so viele spannende Gewächse darauf befinden. Ausgewählte Weine von handwerklich arbeitenden Winzern, zu denen Michael und Janine persönliche Beziehungen pflegen. Vorwiegend aus Deutschland (u.a. Pars Pro Toto, Tomislav Markowic), Österreich (u.a. Lichtenberger-Gonzales, Grabenwerkstatt) und Frankreich – sehr fair bepreist. Aber man findet auch Kultiges wie Armand Rousseau Chambertin Grand Cru für Abende, an denen der Kreditrahmen egal ist. Fazit: richtig gute Weine, ab 8 Euro das Glas. Und das macht das „Matthias“ so besonders – es ist für jeden das Passende dabei!
Auch beim Essen gibt’s im Matthias keine Pflicht, sondern nur Optionen. Menü, ab fünf Gänge (119 €), aber auch à la carte oder nur auf einen Happen an der Bar – wie du willst, Hauptsache, du fühlst dich wohl. Vegetarisch? Sonderwunsch fürs Kind. Alles klar, kein Problem!
Das Essen? Wie bei Freunden, nur besser.
Silvio holt aus jeder Zutat raus, was geht. Unprätentiös. Die Makrele kommt crudo, also roh auf den Teller, dazu Räucheraal-Tatar, Shiso und Dill-Mayonnaise, aufgegossen von einem Sud aus fermentierter Pflaume. Das kickt!
Danach bringt Silvio seinen Teller höchstpersönlich an den Tisch: „Seeteufel mit Kalbskopfterrine. Dazu Bouchot-Muschel, Kohl und Fingerlimes aus meinem Garten“. Ein Crossover aus Zutaten, das man in keinem Lehrbuch findet, aber was wunderbar zusammenpasst. Perfekt legt sich der Chardonnay „Alive“ von dem fränkischen Garagenweingut Pars pro Toto wie ein Seidentuch um all die Aromen im Gaumen. Burgundisch, aber dennoch fränkisch im Glas, Berlin auf dem Teller. Was ein Match!
Der dritte Gang feiert alle Texturen des Champignons rauf und runter. Roh, getrocknet und gebraten, dazu in Nussbutter gebeiztes Eigelb, fermentierte schwarze Schalotten und Spinat. Dazu gab es einen Rousette de Savoie: die „Quintessence d’ Allesse“ 2022 von der Domaine des Orchis. Ein sensationeller Wein und eine hervorragende Begleitung, die die Komplexität dieser Pfeufer‘schen Inspiration perfekt trägt. Wild, mit viel Kamille, verwegen, nussig. Die Quadratur des Kreises!
Genau das ist der Trick vom „Matthias“: Alles wirkt locker, fast unarrangiert, dabei wird nichts dem Zufall überlassen. Die Köche bringen die Teller persönlich an den Tisch. Die Aromen auf dem Teller tanzen miteinander, statt sich im Weg zustehen. Die Gerichte sind nicht aufgeblasen, überinszeniert, sondern ehrlich, puristisch. Silvio bringt meine Gedanken auf den Punkt: „Ich möchte mich nicht mehr Verkünsteln. Es geht mir einfach um den Geschmack, den ich auf den Teller bringen will.“
Das Finale: Ein Spektakel, aber ohne Show
Der Rehrücken so zart, dass du überlegst, ob du ihn einfach mit dem Löffel essen solltest. Dazu Shiitake, Entenleber und weißer Pfefferschaum – das volle Programm, ohne überladen zu wirken. Silvios Tipp: „Am besten alles zusammen essen!“
Runterkommen gibt’s ein erfrischendes Earl-Grey-Sorbet mit Grapefruit und die Cuvée No. 421 Extra Brut vom Weingut Eymann. Und dann: der Käse, der mein Herz erobert. Tête de Moine, serviert mit Bittersalaten und Passionsfrucht, gepfeffert mit fermentierten Körnern. Klingt simpel, geht aber so unter die Haut, dass er uns fast vom Stuhl haut. Was Silvio hier aus diesem oft auf Hotel-Buffets langweilig herum modernden Käse gezaubert hat, hat das Zeug, ein Signature-Dish zu werden. So heimelig und umami. Sauer, scharf, floral, exotisch, cremig, erdig. Ein Wohlfühlgang, der unspektakulär aussieht, aber es wirklich in sich hat. Ein Gang, für den man viele Umwege fahren würde, nur um dieses „Gefühl“ zu essen.
Fazit: Das perfekte Kiez-Wohnzimmer
Im „Matthias“ geht’s nicht um Sterne oder Selbstbeweihräucherung, sondern um eine gute Zeit mit Freunden – und Essen, was begeistert, weil es bodenständig und gleichzeitig abenteuerlich ist. Die Essenz: guter Wein, gutes Essen, guter Vibe. Ein Abend im „Matthias“ fühlt sich an, als hätte man endlich das perfekte Kiez-Wohnzimmer gefunden.
Matthias Restaurant, Kollwitzstrasse 87, 10435 Berlin