Im Herbst vor etwa zwanzig Jahren, als ich in Geisenheim studierte, zog es mich regelmäßig an beziehungsweise in den Höllenberg – eine der besten und steilsten Spätburgunder-Lagen Deutschlands. Hier konnte ich abschalten, fand Ruhe für meinen Kopf und Training für meinen Körper. Die Arbeit in den Steillagen ist ein körperlicher Kraftakt, leider wollen immer weniger Leute dies tun. Zu mühsam und zu wenig ertragreich. Ich dagegen liebte meine Arbeitszeit mit den knorrigen, wurzelechten Rebstöcken. Belohnt wurde die Plackerei mit einem gigantischen Blick über den Rhein, fantastischen Weinproben – und einem knackigen Hintern.
Regelmäßig arbeitete ich in meiner kleinen „Monopollage“, wie ich scherzhaft die Parzelle nannte – in Absprache mit meinem Lehrmeister Peter Perabo, dem damaligen Gutsverwalter und Kellermeister des Weinguts Krone. Er war ein wandelndes Lexikon: präzise, belesen und mit einem untrüglichen Geschmacksinn gesegnet. Blindverkostungen mit Altweinen oder Fassverkostungen in dem 60 Meter langen Naturkeller, der direkt in den Fels gemeißelt wurde: legendäre Erlebnisse. Ich löcherte ihn mit meinen Fragen. Gefühlt kannte er jeden Stein und jede Rebe im Rheingau.
Ein Schluck und zurück in die Vergangenheit
„Probier mal!“, sagte neulich mein Lebensgefährte und hielt mir ein Glas unter die Nase. Ich nahm einen Schluck – und war sofort zurück am Höllenberg. Der Duft katapultierte mich direkt in den Weinberg. In meine Parzelle. Umgeben von alten, meist wurzelechten Rebstöcken, deren Alter niemand so genau kannte. Knorrig, genügsam, kleinbeerig. Der Boden war steinig, steil und gleichzeitig rutschig, dass man sich oft an den Reben festhalten musste, um nach oben zu kommen. Nach einem Regenguss war der Schieferboden besonders tückisch, und immer wieder rutschten Arbeitsgeräte den Hang hinab. Einmal schickte das Arbeitsamt eine Handvoll Leute, die bei der Lese helfen sollten. Nach einem Tag waren sie alle verschwunden. „Höllisch schwer sei die Arbeit“!“
Ich schwenkte das Glas, betrachtete die kastanienbraune Farbe mit leicht rubinroten Reflexen. Unfiltriert. In der Nase: dicht, würzig, kräutrig. Pflaume, Liebstöckel, Lakritz und Rauchspeck. Ich schwenkte weiter, und der Wein öffnete sich immer mehr. Steinpilze, Herbstlaub – und dieser unverwechselbare Duft von nassem Schiefer. Herrlich! Dieser rauchige, mineralische Duft war das Terroir-Parfum, das ich am Höllenberg so liebte.
Mein Höllenberg: Arbeit, Aussicht und ein knackiger Hintern
Kettenraucher und Genie
Peter Perabo war Kettenraucher – und doch einer der präzisesten Verkoster, die ich je erlebt habe. Es faszinierte mich jedes Mal aufs Neue, wie mühelos er Aromen entschlüsseln und detailliert beschreiben konnte. Sein sensorisches Talent erinnert mich an Dominique Lafon von der berühmten Domaine Comte-Lafon im Burgund. Bei einer Verkostung durch dutzende Fässer in seinem Keller erlebte ich, wie Lafon immer wieder verschwand, um zu rauchen, und zurückkehrte, um mit beeindruckender Präzision die komplexesten Facetten eines Weins zu erfassen. Vielleicht liegt es gerade an dieser unerwarteten Kombination, dass Genialität manchmal ihre ganz eigene Logik verfolgt, wer weiß.
Auch am Gaumen zeigte der Wein seine rauchig-mineralische Herkunft: saftig, kantig, unverwechselbar „Höllenberg“. Zur Würze kommen Aromen von Zwetschgen, Waldbrombeeren, Blaubeeren (die mit dem dunklen Fruchtfleisch), schwarzem Pfeffer und ein Hauch Veilchen dazu. Die Tannine? Zart wie Samt, aber mit Ecken und Kanten, eigensinnig, wie es sich für diese Lage gehört. Trotz seines Alters – stattlichen 26 Jahren – hatte der Wein immer noch eine lebendige, fast jugendliche Säure und einen frischen Hauch Eukalyptus. Der Abgang? Saftig, animierend, lang.
Der Höllenberg: Ein Ort voller Geschichte(n)
Der Lagenname „Höllenberg“ stammt vermutlich vom althochdeutschen „Helda“ für Steilhang – oder von den „höllenheißen“ Temperaturen, die der Phyllit-Schiefer speichert. Beides trifft zu. Der Spätburgunder ist hier seit dem 15. Jahrhundert heimisch, vermutlich eingeführt von den Zisterziensern aus dem Burgund. Unser Dichter und Denker Goethe lobte den Rotwein aus Assmannshausen bei einer Reise 1814, Gerhart Hauptmann ließ sich den Höllenberg direkt ins Hotel Krone liefern, wo einst Berühmtheiten wie die Kaiserin Sissi, Helmut Kohl und der Berliner Startenor Richard Tauber speisten und nächtigten.
Die Geschichte des Hotels geht zurück bis ins Jahr 1541. Es war zunächst ein Wirtshaus am Fuße des Höllenbergs, später, im 19. und 20. Jahrhundert ein Symbol des „Romantischen Rheins“. Heute steht es leer, verfällt, und ist mittlerweile seiner alten Pracht gänzlich beraubt.
Das Weingut Krone keltert seit 1860 Weine aus dem Höllenberg und gehört seit 2007 zur Familie Wegeler-Drieseberg, Inhaber der Weingüter Wegeler im Rheingau und an der Mosel.
Der Wein, der bleibt
Doch so traurig der Verfall des Hotels ist, der Wein bleibt – ein Zeugnis dafür, wie Handwerk, Geduld und Hingabe die Zeit überdauern können. Er erzählt Geschichten von Menschen, die diesen Ort mit Herz bewahren, und lässt junge Generationen an der Vergangenheit teilhaben. Der Höllenberg 1998 ist mehr als nur ein Getränk: Er ist eine Zeitkapsel, ein Stück Rheingauer Geschichte – ein Wein, der bleibt.
Übrigens: Auch ein besonders empfehlenswerter Wein ist der Assmannshäuser Höllenberg aus dem Jahr 2014 (ca. 40 € - ein paar Flaschen hat das Weingut gebunkert): Intensive, aber feine Noten von roten und schwarzen Johannisbeeren, Kräutern und Gewürzen spiegeln das einzigartige schieferwürzige Terroir dieser Lage wider. Am Gaumen viel Druck mit höher Präzision. Wirkt kompakt. Tiefgründig mit einer kühlen minzig-pfeffrigen Frische. Enorm saftig, lustvoll und Lust machend - auch ein Wein, der bleiben wird. Und der noch (wenn auch in homöopatischen Mengen ab Weingut zu haben ist.)