Martina, was bedeutet es für dich Winzerin zu sein? Und wie begegnest du stereotypen Rollenbildern?


Martina:
Hättest du mich letztes Jahr vor dem Launch von ‘Sisters in Wine’ gefragt, hätte ich gesagt, dass das gar kein Thema ist, dass ich noch nie diskriminiert wurde, dass für mich noch nie eine Tür geschlossen war. Ich bin 26. In meiner Generation ist es schließlich Gang und Gebe, durch eine Tür zu gehen, die Frauen schon vor 20, 30 Jahren geöffnet haben.

Seit dem Launch von ‘Sisters in Wine’ beschäftige ich mich genauer mit dem Thema und tausche mich mit Frauen aus unserer Community aus: viele von ihnen argumentieren, dass sie sich nicht betroffen fühlen, obwohl sie diskriminierende Situationen erlebt haben.  “Junges Fräulein, erzählen Sie doch etwas über den Wein.” oder “Sie sind bestimmt auch Weinkönigin!”, als es das die einzige Aufgabe von Frauen in der Weinwelt. Du denkst zwar “Okay, das war nicht richtig, doch ich stelle mich jetzt mal nicht so an!”. 

©Rudolf Wichert

Im Grunde geht es aber genau darum, Grenzen zu setzen, und nicht als Püppchen wahrgenommen zu werden. 

In der Weinwelt hieß es schon immer: "Wenn du für’s Weingut unterwegs bist, zieh’ kein Kleid an, schmink’ dich nicht zu viel. Sonst denken die Leute, du bist ein Püppchen."

Überspitzt gesagt bedeutet das also, dass du als Frau nur ernst genommen wirst, wenn du möglichst männlich rüberkommst. Mittlerweile ist es schon akzeptierter, dass Frauen durchaus gute Winzerinnen sein können. Kleine Rollenklischees gibt es natürlich noch immer. 

Fehlt den Frauen denn etwas, um im Weinbau den Stand der Männer einzuholen?


Martina:
Weinbau ist keine Frage des Geschlechts. Uns Frauen fehlt in der Hinsicht überhaupt nichts. Selbst wenn du nicht die Muckis hast, durch Willenskraft findest du immer einen Weg. Als Winzerin werde ich immer wieder gefragt, warum meine Weine anders schmecken. Doch sie schmecken nicht anders, nur weil ich eine Frau bin. Es ist doch total egal zu welchem Geschlecht sich der oder die WinzerIn zugehörig fühlt. Wir sollten endlich auf Augenhöhe kommunizieren und nicht hervorheben, dass ein Wein von einer Winzerin kommt. 

Als Winzerin werde ich immer wieder gefragt, warum meine Weine anders schmecken. Doch sie schmecken nicht anders, nur weil ich eine Frau bin.

Hast du denn das Gefühl, dass sich Frauen in der Weinbranche untereinander genug unterstützen oder ist das noch immer ein Konkurrenzkampf?

Martina: Das ist unterschiedlich. Es gibt Kolleginnen, mit denen ich mich austausche, hauptsächlich über Erfahrungen. Zum Beispiel mit einer Winzerin hier in Rheinhessen. Sie ist circa fünf Jahre älter als ich. Wenn was ist, ist sie einfach nur für mich da und beruhigt mich, wie eine Schwester. Sie hilft mir, meinen eigenen Weg zu finden – Female Empowerment. 

Dann gibt es wiederum Frauen, die dich als Konkurrentinnen betrachten. Denn in unserer immer noch eher männerdominierten Weinwelt denken viele, dass nur wenige Plätze für erfolgreiche Winzerinnen reserviert sind. Diesen Platz möchte natürlich jede Winzerin selbst einnehmen. Also denken einige, dass sie alle anderen Kolleginnen klein halten müssen. Doch das ist totaler Quatsch. Meine Generation bricht dieses Konkurrenzdenken gerade auf. Mit einer gewissen Nonchalance, die der Haltung Ausdruck verleiht, sich als Frauen gegenseitig zu unterstützen, sein Wissen untereinander zu teilen und eine Community aufzubauen. 

Illustration der betörenden Marie (©Naomi Wilkinson)
Illustration der starken Anna (©Naomi Wilkinson)

Dass Female Empowerment in der Weinbranche für dich ein wichtiges Thema ist, zeigt sich auch in deiner Weinlinie ‘Sisters in Wine’. Fünf unterschiedliche Weine, die Marie, Hilde, Frida, Käthe und Anna heißen und als Weinpaket verkauft werden. Wie kam es dazu?

Martina: Die Idee dazu entstand gemeinsam mit einer Freundin und Alice und Marie von der Designagentur Alma. Der Name ‘Sisters in Wine’ bezieht sich auf das Statement ‘I am your sister.’ Ein solidarisches Statement, das allen Frauen Wertschätzung entgegenbringt und dazu inspiriert, füreinander einzustehen. Die Namen der Weine wiederum sollten Namen von starken Frauen und bedeutenden Feministinnen sein: Marie Curie, Hildegard Knef, Frida Khalo, Käthe Kollwitz und Anna Haag. Letztere kennt kaum jemand: sie war eine Pazifistin, die sich im Dritten Reich für Frauenrechte einsetzte.

[Anmerkung der Redaktion: Die mexikanische Künstlerin Frida Kahlo wollte die Welt mit antikapitalistischen Visionen verändern und rebellierte gegen gesellschaftliche Normen, etwa in dem sie sich die Haare abschnitt und Anzüge trug. Käthe Kollwitz wurde lange Zeit nicht als Frau in der Kunst akzeptiert, sie engagierte sich für Frieden, Humanität und Antifaschismus und erkämpfte sich als erste weibliche Professorin einen Platz an der Preußischen Akademie der Künste. Hildegard Knef war eine Schauspielerin und Sängerin, die als eine der wenigen deutschen Schauspielerinnen in den 1950er Jahren international bekannt wurde. Nacktauftritte, drei Ehen, Faceliftings: Knef brach immer wieder Tabus, doch ihr war egal, was andere denken. Marie Curie gilt durch die Entdeckung der chemischen Elemente Radium und Polonium als Pionierin der Forschung über Radioaktivität. Sie gewann zwei Nobelpreise, und setzte sich für bessere Studien- und Arbeitsbedingungen für weibliche Studierende und Wissenschaftlerinnen ein.]

Martina: Beim Thema Feminismus denken viele immer noch an extreme Feministinnen und eine politisch angehauchte Bewegung. Doch wir wollten den Weinen eine gewisse Leichtigkeit verleihen und den Zugang zu modernem Feminismus erleichtern. Mit ‘Sisters in Wine’ möchten wir Frauen darin bestärken, sich gegenseitig zu unterstützen, Vielfalt zu feiern und zu leben, sich auszutauschen und in ihren Erfahrungen zu bereichern. Das jeweilige Adjektiv vor dem Namen generiert diese Leichtigkeit und beschreibt gleichzeitig den jeweiligen Wein.

Ein Teil des Erlöses wird an die Organisation ‘Nuru Women’ gespendet, die Frauen in ärmeren Regionen der Welt ermöglicht, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Wie kam es dazu?

Martina: Als wir in die finale Planung des Sisters-in-Wine-Club übergegangen sind, war klar, dass ich ihre Organisation Nuru Women unterstützen möchte, denn mir gefällt das dahinter stehende nachhaltige Konzept: Die Frauen bekommen nicht nur einen Mikrokredit als Startkapital in ein unabhängiges Leben, sondern auch das nötige Know-How vermittelt, um ein unabhängiges Leben führen zu können.


Beim Thema Feminismus denken viele immer noch an extreme Feministinnen. Mit ‘Sisters in Wine’ wollen wir klarmachen, dass es nicht darum geht, Männer schlecht zu machen, sondern darum, dass sich Frauen gegenseitig unterstützen. 

Alice und Marie, ihr habt der Weinserie ein Gesicht gegeben. Ein Design. Einen sehr farbenfrohen, fröhlichen Look. Wie entstand die Zusammenarbeit? 

Marie: Wir kannten Martina bereits durch die Zusammenarbeit an einem anderen Weinprojekt. Darüber hat sich dann die Kooperation für die ‘Sisters in Wine’ Serie ergeben. 

Alice: Die Idee für ‘Sisters in Wine’ haben wir gemeinsam entwickelt. Für uns ist es ein Herzensprojekt, weil vor allem die Message dahinter so wichtig ist!

Marie: Genau. Die Werte und die Aspekte der Vielfalt und gegenseitigen Solidarität, die durch dieses Projekt vermittelt werden, sind uns wichtig. Auch weil wir als Frauen-Duo vor zwei Jahren unsere eigene Agentur gegründet haben. Denn nur ein Bruchteil der Designagenturen in Deutschland wird von Frauen geführt. 

Gab es Herausforderungen beim Design?


Alice:
Die Darstellung weiblicher Vielfalt, in all ihren unterschiedlichen Facetten zu zeigen, war uns von vornherein wichtig. Das Ergebnis sind fünf Weine und Designs, so unterschiedlich und farbenfroh wie wir Frauen selbst. Sie alle sehen ganz unterschiedlich aus, weil jede Frau eine ‘Limited Edition’ ist. 

Marie: Dabei war uns wichtig, einen Illustrationsstil zu finden, der einen gewissen Grad an Abstraktion erlaubt, einen Stil der weibliche Diversität darstellt ohne fotorealistisch zu sein . Zusammen mit der Illustratorin Naomi Wilkinson konnten wir diesen Gedanken/Anspruch umsetzen.

Alice: Im Dialog mit Naomi achteten wir darauf, dass der Charakter und Geschmack des jeweiligen Weins visuell reflektiert wird und dass die Illustration zur Beschreibung des jeweiligen Weins passt. Martina gab uns eine detaillierte Weinbeschreibung, die wir visuell übersetzt haben. Zum Beispiel ist ‘die verspiele Frida’ ein fruchtiger Weißwein-Cuvée für warme Sommertage. Der Hula Hoop-Reifen in der Illustration symbolisiert diese Leichtigkeit.

Marie: Letztendlich geht es um Charakterzüge, die im Vordergrund stehen und zum Wein passen. Um keine Klischees zu bedienen, stand die Message: “Hey Sister - you are a limited edition” im Vordergrund, und nicht etwa das Aussehen der Namensgeberinnen wie Marie Curie. 

Martina Bernhard-Fazzi (©Ines Barwig)

Wie wichtig ist gutes Design denn insgesamt für den Erfolg eines Weins?


Alice:
Die Rolle des Designers ändert sich: die Vorstellung von Design, das nur an der Oberfläche arbeitet, hat ausgedient. Ganz nach dem Motto: “Think first, design later!” Was kann das Produkt, das andere Produkte nicht können? Welche Zielgruppe soll das Produkt ansprechen? Wie soll es sich anfühlen – haptisch und emotional? Heutzutage ist es wichtig, die Geschichte hinter dem Wein zu spinnen, und daraus ein kreatives Etikett zu entwickeln. Denn mit einem durchdachten Verpackungsdesign fällt der Wein nicht nur auf, er wird auch häufiger gekauft.

Martina, war von vornherein klar, dass nicht nur Weißweine in das Paket einfließen? Dass nicht nur das Design sondern auch die Weinauswahl den Diversitätsgedanken vermittelt?


Martina:
Die Weine sollten so einzigartig sein, wie wir Frauen. Uns ging es darum, charakterstarke Weine zu machen, und die Persönlichkeit ihrer jeweiligen Namensgeberinnen herauszuarbeiten. Diese Eigenschaften spiegeln sich in den Weinen wider, die allesamt Cuvees aus verschiedenen Rebsorten sind: Morio-Muskat und Müller-Thurgau, Riesling und Müller-Thurgau, Chardonnay und Weißburgunder sowie Spätburgunder, Merlot und St.Laurent. 

Was ist seit dem Launch passiert?


Martina:
Präsentiert haben wir unsere Weine am Weltfrauentag. Es gab viel positives Feedback und wir konnten bereits spannende Kooperationen eingehen, zum Beispiel mit ‘Edition F’ oder ‘Hey Sister’. Bitte mit Martina klären, ob der Rest gestrichen werden soll. 

Alice & Marie vom Designstudio ALMA in Mainz

Es ist tatsächlich erstaunlich, wie viel die Optik beim Weinkauf ausmacht und wie viel Design in Bezug auf Frauen im Weinbau verändern kann. Wie geht es denn mit dem Projekt weiter?


Alice:
Aus unserer Sicht ist der Weinkarton noch nicht voll.

Martina: Genau. Es wird einen sechsten Wein geben. Dazu gibt es auch schon ein paar Ideen, doch die sind noch geheim. Ein Euro von jedem verkauften Paket fließt dann weiterhin an die Organisation Nuro Women. Mein größtes Ziel ist es, eine Community aufzubauen und mehr Events zu veranstalten. Denn schon beim ersten ‘Sisters in Wine’ Club Abend, einem Online-Weintasting mit Frauen aus ganz Deutschland, haben wir so viel Energie und Zuspruch gespürt. Frauen, die sich gegenseitig austauschen und vernetzen. Und diese Leichtigkeit, sich untereinander auszutauschen und Erfahrungen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen zu teilen, ist genau das, was wir transportieren wollen.

Instagram: @sisters_in_wine_club_