Manchmal treffen Uwe Lange und Marco Pfliehinger sich schon frühmorgens um vier, um Präparate wie Hornkiesel vorzubereiten. Dann rühren die Winzer mit einem Reisigbesen oder mit der Hand das handwarme Regen- oder Quellwasser. Der Besen wird erst rechts herum gedreht und dabei das Wasser dynamisiert, „dazu macht man sich gute Gedanken“, erklärt Lange. Ein Trichter entsteht und saugt Kräfte ein, dann rührt der Besen in die andere Richtung, die Ordnung bricht, Chaos entsteht, dann wieder Ordnung und ein Trichter. Das wiederholt sich immer wieder, bis das Wasser immer weniger Widerstand zeigt und „sich schließlich ergibt“. Wenn es langsam hell wird, verändern sich die Farben am Himmel, die Vögel zwitschern dazu. „Das ist wunderschön. Ich mag das Erwachen der Welt“, sagt Uwe Lange, der seit 2015 mit Marco Pfliehinger das Weingut Forgeurac im Kraichgau betreibt.
Hornkiesel wird im biodynamischen Weinbau zunächst um die Reb-Blüte im Frühjahr ausgebracht, mancher Winzer setzt Maschinen dafür ein, aber das kommt für das Duo nicht in Frage: „Die eigene Energie ist wichtig dabei“, erklärt Lange, der sich seit über 15 Jahren mit der Materie beschäftigt. Bei allem, was die beiden machen, gilt der Grundsatz: Ganz oder gar nicht. „Viele Winzer glauben nicht richtig an die geisteswissenschaftlichen Grundlagen der Biodynamie. Aber wenn Biodynamie richtig praktiziert wird, verändert sie dein Leben“, sagt Pfliehinger. „Man hört auf so materiell zu denken.“ Die Winzer erzeugen Weine, die so sind wie sie: Eigenwillig und sperrig. „Wir sind nicht die hippen Jungs, die tolle Geschichten erzählen“, sagt Lange, der nicht mit der Rolle des Außenseiters hadert: „Wir bewegen uns weit vom Mainstream entfernt und das ist uns recht so.“ Mit ihrer konsequenten Einstellung und renitenten Art halten sie auch einer Weinszene den Spiegel vor, in der „viel Blabla erzählt und viele Sachen nicht richtig durchdrungen werden“.
„Wir sind nicht die hippen Jungs, die tolle Geschichten erzählen“, sagt Lange.
Uwe Lange, Jahrgang 1973, kam über Umwege zum Wein, er stammt aus einer musikalischen Familie. Lange lernte Cello, aber es habe ihn nicht gereizt, „das zu spielen, was jemand aufgeschrieben hat“. Er orientierte sich lieber am Jazz, lernte noch Kontrabass, studierte Musik und stand bald mit bekannten Musikern auf der Bühne. „Es lief einfach“, sagt er. In den Vordergrund musste er sich dabei nicht drängen. Er sei ein „geborener Sideman“ und nie eine „Rampensau“ gewesen: „Ich hatte immer Freude daran, die anderen gut aussehen zu lassen.“
Aber das Künstlerleben war auch zermürbend, oft bestanden die Tage auf Tour aus dem langen Warten auf einen Auftritt am Abend, bei dem man alles geben musste. Trotz der Erfolge spürte Lange, dass „ich nicht dazu gehöre. Ich habe die Entscheidung für die Musik nicht aus mir heraus getroffen.“ Beim Wein dagegen sei das ganz anders gewesen, er besuchte viele Weingüter und arbeitete eine Weile lang mit, wissbegierig und schnell zu begeistern. Die Winzerlehre absolvierte er bei Gert Bernhart in Schweigen, mit 32 fing er 2005 an in Geisenheim zu studieren.
Dort lernte er auch Marco Pfliehinger kennen, der an der Universität promovierte über den Einfluss weinbaulicher und klimatischer Bedingungen auf die Bildung des „Untypischen Alterungstons“ im Wein. Der Doktorand, Jahrgang 1972, war einer der Boden-Experten an der Hochschule. Bald wuchs die Idee, „gemeinsam deutsche Terroir-Weine zu erzeugen“: Die sollten auf Kalkböden mit einem hohen Eisenanteil wachsen – wie an der berühmten Côtes de Nuits im Burgund. Der Terroir-Beauftragte begann hartnäckig die geeigneten Lagen für ihr Projekt zu suchen. Pfliehinger stammt aus Bühl in der Ortenau, er ist der Introvertiertere bei Forgeurac, der sich gerne im Hintergrund hält und nicht zuviel von sich preis gibt.
Der erste Jahrgang wurde im Herbst 2015 im badischen St. Leon gekeltert, wo Uwe Lange lebt. Der Keller ist in der alten Dorfschmiede untergebracht, davon leitet sich der Name ab: Schmiede heißt im Französischen Forge. Er ist auch eine Referenz an das Burgund und seine besten Pinot Noirs. „Wir hatten gar nichts, keine Kohle, keine Erfahrung und auch keinen romantischen Traum“, erinnert sich Lange. Aber sie haben auch nichts zu verlieren und sind sich einig, dass sie „den Wein wegschütten, wenn er nichts wird“. Um über die Runden zu kommen, jobbten beide noch als Betriebsprüfer für Bio-Weingüter mit der Demeter-Zertifizierung.
„Wir hatten gar nichts, keine Kohle, keine Erfahrung und auch keinen romantischen Traum - aber wir hatten auch nichts zu verlieren!"
Was die beiden antreibt, ist die Leidenschaft für Pinot Noir und Burgund, „das ist der Heilige Gral und unsere große Liebe“, sagt Lange und Pfliehinger schwärmt: „Es gibt weltweit kein größeres Wissen über Terroir.“ Schon als Jugendlicher fuhr Uwe Lange ins Kloster nach Taizé, dabei durchquerte er auch die Côtes de Nuits. Dort arbeitete er über Jahre hinweg in verschiedenen Weingütern. Dabei lernte Lange einige Koryphäen kennen wie Lalou Bize-Leroy (damals) von der Domaine Romanée-Conti und „saugte wissbegierig alles auf, was die vom Terroir und den Reben zu erzählen haben“. Burgund gilt als abgeschottete und elitäre Weinenklave, aber die Winzer seien enorm gastfreundlich, erzählt Lange auf dem Weg durch den hügeligen Kraichgau zum Rauenberger Hasselbach, auch sein Hund Lucky ist dabei, der im Dunstkreis von Pinot Noir aufgewachsen ist.
Im Hasselbach stehen die Reben auf einer Mischung aus Eisen, Ton und Kalk. Als Marco Pfliehinger den rötlich schimmernden Weinberg entdeckte, war sein Partner sofort elektrisiert.
„Wie im Burgund!"
"Wie im Burgund", betont Lange, schon der weise Henri Jayer, eine der größten Winzer-Persönlichkeiten des zwanzigsten Jahrhunderts an der Côtes de Nuits, stellte die Grundregel auf, dass rote Reben auf roten Böden wachsen sollten. In Deutschland dagegen gelte Kalkstein als idealer Untergrund für Pinot Noir und oft stünden die Reben sogar auf ungeeigneten Böden. Die beiden Winzer päppeln gerne interessante Parzellen auf, die niemand mehr bewirtschaften will. Die Reben im Hasselbach seien schlecht behandelt worden, „sie haben es verdient, dass man sich um sie kümmert“, sagt Uwe Lange. Oft dauert es mehrere Jahre, bis dieWeinberg wieder im natürlichen Gleichgewicht sind.
Eine Stunde entfernt liegt der Engelsfelsen in Bühl, die schmalen Terrassen türmen sich nach oben, bis auf 350 Meter Höhe. Da wächst der Spätburgunder auf Granit, der Weinberg hat noch nie einen Traktor gesehen, der Boden riecht nach Sellerie und Karotten. Das Rebgut in den Weinbergen ist eine Mischung aus deutschen Klonen wie 5286, die Forgeuracs haben aber auch Stecklinge von der Grand-Cru-Lage Clos de la Roche vermehrt und ausgepflanzt.
„Wichtiger als die Wahl des Pflanzgutes ist aber die Balance im Weinberg“, sagt Pfliehinger. Etwas unterhalb vom Engelsfelsen liegt der Riegelberg, wo auch verwitterter Granit den Untergrund für die Reben bildet. Der Schwarzwald baut sich im Hintergrund als dunkle Wand auf, in der Ferne ist das Straßburger Münster zu erkennen. Der Spätburgunder aus dem Riegelberg zeigt sich markant, unnahbar, mit innerer Spannung und ausgeprägter Mineralität, er erinnert an Syrah von der nördlichen Rhône. Mancher Weinberg steigt so steil an, dass man ihn besser mit Steigeisen begeht. Da klettert Uwe Lange auch mit der 20-Kilo-Spritze auf dem Rücken umher, ein Knochenjob. „Wenn du es gut machen willst, muss du es selbst machen“: Noch ein Leitsatz von Henri Jayer, den sie befolgen. „Bei vielen Betrieben arbeiten Saisonkräfte im Weinberg und nicht der Winzer“, sagt Lange. „Die jetten in der Welt herum und machen Marketing.“
Forgeurac bewirtschaftet inzwischen ein Portfolio ausgewählter Lagen mit rund viereinhalb Hektar, mehr sollen es nicht werden. Rauenberg, Riegelberg oder Engelsfelsen „haben noch kein Renommee. Wer weiß schon, wie diese Terroirs schmecken?“, fragt Marco Pfliehinger. Auch im Markgräflerland kultivieren sie eine Parzelle mit reinem Jurakalk, der Walis fällt etwas runder aus und ist am ehesten vergleichbar mit einem klassischen deutschen Spätburgunder.
Die Forgeurac-Weine müssen nicht nach Himbeere, Kirsche und Holzwürze riechen, nach den immer gleichen Ingredienzien der Burgunder-Rezeptur. Für das Duo wird Pinot Noir in Deutschland oft missverstanden und falsch interpretiert, weil viele Winzer die Rebsorte in den Vordergrund stellten. „Spätburgunder hat keine Eigenschaften“, zitiert Lange Aubert de Villaine, „er spiegelt den Boden, viel mehr noch als Riesling.“ Ein Pinot Noir, der nach der Rebsorte schmeckt, gilt in Burgund als misslungener Wein, wie es Lalou Bize-Leroy einmal formulierte. Deshalb steht bei Forgeurac keine Rebsorte auf dem Etikett, sondern nur der Lagenname. Für Uwe Lange ist es ohnehin „Bullshit, in Deutschland Burgund nachahmen zu wollen“. Ihnen geht es um das burgundische Terroir-Konzept: Eine klar definierte Lage im Spätburgunder möglichst pur zum Ausdruck kommen zu lassen.
Ein Pinot, der nach der Sorte schmeckt, gilt in Burgund als misslungener Wein.
Dafür erledigt der Zwei-Mann-Betrieb in den Weinbergen fast alles von Hand, sie besitzen nicht einmal einen Traktor, der Maschinenpark besteht aus einer kleinen Raupe, dieselten zum Einsatz kommt. Die Prozesse im Weinberg bewusst mitzuerleben und möglichst nah an der Rebe zu sein, sei enorm wichtig: Mit selbst erzeugten Tees und Tinkturen reagieren die Winzer auf die Signale aus dem Weinberg. Es ist eigene Grundlagenforschung, die sie betrieben. Er vertraue keiner Wissenschaft,„die nur an wirtschaftliche Interessen gekoppelt ist“, erklärt Lange. In vielen Weinbergen müssen die Reben in Reih und Glied stramm stehen wie Zinnsoldaten ,bei Forgeurac dürfen sie so unterschiedlich sein wie die Menschen in einem Dorf mit ganz eigenen Charakteren. Jeder Stock wird individuell behandelt, es gibt kein Schema dafür, mal wird eine Rute belassen, mal zwei, je nachdem, was die Rebe benötigt. „Man muss den Weinberg als Wesen verstehen und dabei den einzelnen Rebstock beachten“, sagt Marco Pfliehinger.
Auch im kleinen Gewölbekeller, der im 17. Jahrhundert erbaut wurde, wird mit einfachsten handwerklichen Methoden gearbeitet. „Wir brauchen keinen Hefefilter groß wie ein Ufo“, sagt Uwe Lange. Die ganzen Trauben werden ohne Kaltmazeration und Saftabzug in offenen Bütten spontan vergoren, auf alten Korbkeltern gepresst und in gebrauchten Fässern mit langem Hefelager ausgebaut. Abgezogen werden sie mit dem Schlauch und Falldruck. „Wir arbeiten mit Luft, ohne Hefen, Enzyme, Schönung und Filtration, gefüllt wird mit minimalem Schwefelzusatz, die Flasche von Hand verkorkt. Das war’s“, betont Lange, der Parallelen zwischen Musik und Wein erkennen kann: „Die Kunst ist es, etwas Einfaches zu machen, das Tiefgang hat.“ Es ist ein gewollter Purismus, eine nahezu archaische und auf das Allernötigste reduzierte Art der Weinwerdung, die das Wesen und den Charakter der Lagen unverfälscht zeigen soll. Dabei müssen die Weine „nicht lecker schmecken“, sie sind puristisch codiert und auch ein wenig geheimnisvoll, gerade in ihrer Jugend können sie unzugänglich sein.
Auch wenn Forgeurac „minimalinvasiv und nicht invasiv“ agiert, zählt sich das Weingut nicht zur Naturwein-Bewegung. Jura, das Elsass und Winzer wie Olivier Zind-Humbrecht sind neben Burgund eine Inspiration. Das Duo zählt sich zur badischen Landwein-Bewegung, die ihre Weine keiner Prüfungskommission vorlegt. Sie misstrauen den Regeln im Weinbau, die sich nicht mit ihren eigenen Erfahrungen decken. „Ich bin total anspruchsvoll“, sagt Uwe Lange, „Es gibt Spätburgunder mit schöner Nase, passender Säure und feinem Tannin, die unglaublich toll und mit viel Know-How gemacht sind“, sagt er. „Aber die finde ich oft langweilig.“ Die beiden Winzer sind Totalverweigerer, was den Mainstream angeht: Künstlich wirkende Weine, ohne Seele und Lebendigkeit, lehnen sie aus tiefer Überzeugung ab: „Ein Wein muss Energie geben und nicht ziehen. Sonst interessiert er uns nicht.“
Es heißt, dass Drachen am besten gegen den Wind und nicht mit ihm steigen: Den einfachen Weg haben Lange und Pfliehinger nicht eingeschlagen, es ist eine manchmal beinahe aberwitzig anmutende Konsequenz und Rigorismus, den sie betreiben. Nicht aus Arroganz und elitärem Denken, sondern aus der Verpflichtung für „den alten Burgunder-Stil“und von bäuerlichem Handwerk geprägte Weine, die mehr eine Angelegenheit des Gefühls und des Herzens sind als des Kopfes und Kalküls. Die beiden exportieren ihre Spätburgunder auch nach Frankreich, sie sind auch bei Winzern im Burgund gefragt, die gerne ihre Pinot Noirs gegen diese eigenständigen Spätburgunder tauschen. Und das ist ziemlich ungewöhnlich.
Es ist Abend geworden im Kraichgau und in der alten Schmiede stehen Flaschen bereit zum Verkosten. Das ist immer eine besondere Zeremonie bei den Forgeuracs, die mit der Zeit eine ganz eigene Form der Weinbeschreibung entwickelt haben, die man plastisches Verkosten nennen könnte: Da zeigt sich ein Chardonnay wie die Mütze von Albrecht Dürer, die schmal anfängt und immer breiter wird. Mancher Riesling hat Stacheln wie ein Igel oder ist „wie ein Kuscheltier, aber schuppig nach obenhin“. Und einer der Pinot Noirs erinnert an den Song „Kind of Blue“ von Miles Davis: „Einfach und unheimlich berührend, so sind auch große Weine“, sagt Uwe Lange, der manchmal irritiert ist, dass seine eigenen Burgunder sich schnell verändern und andere Charakterzüge zeigen können. Das könne er nicht immer erklären. Aber kann es anders sein, wenn man mit einer solch lebendigen Materie arbeitet?