In unserem Metier werden wir täglich von Menschen mit „normalen“ Existenzen und Berufen beneidet: Oh, der ganze gute Wein den du trinkst! Dabei trinken wir nicht. Wir verkosten oder degustieren. Wir tun das im Stehen oder im Liegen oder in jeder nur denkbaren, verrenkten Position zu jeder nur denkbaren Uhrzeit. Aber bitte merken: Wir trinken nicht! Denn natürlich handelt es sich bei Wein um Alkohol, mit dessen Suchtpotential professionell umgangen werden muss.
Nach Feierabend allerdings kann einem, wie jedem normalen anderen Menschen auch, durchaus der Wunsch nach Vollrausch im Imperativ begegnen.
Man ist ja bekanntlich nur dann völlig betrunken, solange man „noch am Boden liegen kann ohne sich festzuhalten“, so Dean Martin, legendärer Crooner und Trinker, der seine beiden Hobbies zum Beruf machte und am Rauchen starb, weil die Lunge wohl leichter zu besiegen ist, als die Leber.
Die normale Betrunkenheit setzt im Regelfall die Nüchternheit als Ausgangssituation voraus, aus der heraus man sich betrinkt. Ist man betrunken, geht man nach Hause, ins Bett oder hört einfach auf zu saufen. Spannend wird es allerdings erst, wenn man die Welt des körperlichen Trinkens betritt und betrunken zu trinken beginnt - am Boden liegend. Dann betreten wir einen Kosmos, ohne Warnhinweis, wie auf Zigarettenschachteln, und sind frei, in unendlichen Weiten.
Was vergnüglich klingt ist harte Arbeit und es stellen sich die Fragen:
1.) Liege ich nur und war das schon alles?
2.) Bekomme ich weiterhin Wein oder Cocktails gereicht?
3.) Mache ich Geräusche, und wenn ja: klingen die gut?
4.) Wer holt mich da raus?
Das sollte unser Ziel sein: Wohlklang, auch in übertragenem, synästhetischen Sinne. Denn es gibt eine Reihe zusätzlicher Parameter, die wir für einen erfolgreichen Vollrausch zu Ende denken müssen.
Es ist zum Beispiel das Unschicklichste auf der ganzen Welt, auf anderer Leute Toilette blau anzulaufen.
Ein Schmerz für alle anderen, die sich in langer Schlange unleidlich quengelnd mit schwellender Blase oder szenetypischen Briefchen vor der Tür drängeln.
Es geht um den bessern Ton im Wohlklang, auch in übertragenem, Sinne!
Kurz: Es geht um den besseren Ton im Wohlklang. Man kann ja voll wie ein Eimer sein, darf sich aber nicht aller menschlichen Verhaltensformen entkleiden. Wenn der Körper metaphorisch gesprochen darniederliegt, muss dies die Stunde des Geistes sein, sich zu erheben und das Licht der Weisheit scheinen zu lassen. Unsere Manieren müssen gesteigert, überhöht und gradezu auf die Spitze getrieben werden. Denn in diesem Zustand gilt mehr als in allen anderen: Benimm Dich!
Wenn Du eine lange Nacht des ernsthaften Trinkens anstrengst - und ich rede hier nicht von Kompromiss-Gesaufe, bisschen lallen, bisschen hinfallen und so -, dann benimm Dich, sei nett. Das erst lässt Dich zum Ritter des Zivilen werden. Denn Du weißt nicht, welche Schneisen Du in die Nacht schlägst, wenn Du trunken zum Geschoss wirst.
Der garstigen Fratze des Alkohols Nonchalance verleihen
Es gibt auch wenig Liederlicheres als krakelige Betrunkene, Amateure, die grölend, stillos und entmenscht durch die Nacht taumeln. Ihr Anblick, wenn sie essen; die Geräusche, wenn sie unkontrolliert wegschlafen. Das ist würdelos. Und klingt auch nicht gut. Was unterscheidet uns da noch vom Orang Utan, vollgefressen mit vergorenen Früchten?
Wir müssen der garstigen Fratze des Alkohols Nonchalance, Eleganz, und Feingefühl verleihen - zumindest solange es in unseren Möglichkeiten liegt.
Es soll nämlich nicht heißen, dass ab einem gewissen Stadium keine ungeplanten Situationen auftreten können, z.B. versehentlich an unserer statt eine Tür aus dem Rahmen fällt weil die Balance noch an der Theke saß und den Old Fashioned leerte. Gelassen und vor allem höflich und demütig bleiben. Versicherungskarte raus sowie ein fettes Trinkgeld - das höchste Regulativ, wenn der Abend nach mehrfacher Weichenstellung endlich auf das rechte Gleis gelaufen ist. Selbst wenn man sich morgens an nichts mehr erinnert: Wenn der Barkeeper lächelt wenn Du das nächste mal den Laden betrittst hast Du alles richtig gemacht.
Lesetipp zur formvollendeten Auslöschung:
Cheerio - Gin Gin. Eine kleine Schnapsologie von Jan Herchenröder, Komm Verlag, Offenbach am Main (1954). Antiquarisch oder bei bei Amazon.