Da ist nichts als das Rauschen der Blätter im deutschen Wald. Sonst Stille. Und Jochen. Das Licht der Sonne, welches Bäume und Blätter durchlassen, spielt auf seinem Combat Anzug. Er gräbt ein Loch in den Boden, den er vorher vom Laub befreit hat. „30 Zentimeter, dann findet sie garantiert keiner“, sagt Jochen. Jochen blickt sich um, bevor er die letzten Zentimeter Erde entfernt. Wir schauen auf ein Dutzend Weinflaschen, fein säuberlich nebeneinander gereiht unter einer durchsichtigen Folie. „Das hat vor Ihnen noch niemand gesehen.“
"Es gibt keine Selfies mit mir und meinen Weinvorräten. Ich bin doch nicht wahnsinnig.“
Es sind sechs Flaschen „Scharzhofberger Riesling Eiswein 1996“ von Egon Müller. „Eine Notreserve, wertvoller als Gold.“ Neben den Weinflaschen eine in tarnfarbenes Tuch verpackte Box. „Was ist da drin?“, frage ich. Jochen öffnet die Box. Vier perfekt polierte Zalto Gläser. „Vielleicht der letzte Luxus, wenn mal die Welt untergeht“, sagt Jochen und schüttet das Erdloch wieder zu, bedeckt es sorgfältig mit Laub und trockenen Ästen.
Jochen hat seinen Jeep etwa zweihundert Meter von seinem Vorrat entfernt im Wald geparkt. „Niemand soll die Spur verfolgen können“, sagt er, „im Ernst fall sind wir alle auf uns alleine gestellt, dann gilt: Jeder gegen jeden.“ Sein Jagdmesser steckt im Gürtel, gleich neben einem Screwpull, einem Korkenzieher, den man auch in dunkler Nacht bedienen kann, so einfach funktioniert er. „Natürlich wissen wir auch, wie man eine Weinflasche öffnet, wenn mal kein Korkenzieher zur Hand ist. Außerdem hat jeder von uns ein paar österreichische Weinflaschen vergraben, die meisten davon mit Schraubverschluss.“ Jochen blickt sich um, bevor er sein Versteck verlässt und den Zündschlüssel umdreht. Niemand hat uns beobachtet.
Sie nennen sich Weinprepper, vom Englischen to prepare, sich vorbereiten. Sie bereiten sich auf die Katastrophe vor.
Was, wenn es auf einmal keinen Wein mehr gibt?
Ein Blackout, wie es oft besprochen, aber von der Politik als unmöglich bezeichnet wird, könnte den Strom für Tage, wenn nicht Wochen ausfallen lassen. Ein Super-GAU weite Landstriche unbewohnbar machen. Ein Krieg Flüchtlingsbewegungen auslösen.
Städte würden von einem Tag auf den anderen zu Käfigen wild gewordener panischer Einwohner. Weinkühlschränke würden ausfallen, elektrisch gesicherte Eingänge zu den Weinkellern unpassier bar. Weinbars und Vinotheken geschlossen. Keine Online-Bestellungen möglich.
Jochen glaubt, dass die Menschen dann die dünne Decke der Zivilisation in einem atemberaubenden Tempo abstreifen würden. Es würde zu Plünderungen, zu Überfällen kommen, der Staat würde seine Gewalt nicht auf recht erhalten können, um in einem Ereignisfall den durstigen Mob zu kontrollieren. Die ersten Opfer würden neben den schlecht gesicherten Vinotheken vermutlich die Keller gesellschaftlich bekannter Weinliebhaber sein, die ihre Leidenschaft zu oft zur Schau gestellt haben.
„Ich habe nie über meine Liebe zum Wein geredet“, so Jochen.
„Es gibt keine Selfies mit mir und meinen Weinvorräten. Ich bin doch nicht wahnsinnig.“
Das deutsche Kanzleramt gibt offen zu: Wir können die Versorgung mit Wein für die Bevölkerung nicht garantieren. Jochen ist gut vorbereitet. Er hat nicht nur Egon Müller, sondern auch die guten Jahrgänge „Clos de la Roche“ von Armand Rousseau, andernorts zwei Kisten „La Tâche“ von Romanée Conti 1990. „Eine Flasche ,La Tâche‘ kann ich gegen hundert Châteauneufs von Beaucastel oder 400 von Charvin eintauschen.“ Jochen denkt in extremen Situationen. Am nächsten Tag stellt mir Jochen Carsten vor.
"Wenn der Wein ausgeht, wird der Mensch zum Tier."
Carsten ist Ex-Sommelier, es gab in China, wo er in Shanghai im besten Restaurant der Stadt arbeitete, einen Skandal um gefälschte Flaschen „Pétrus“, in denen chinesischer Rotwein zum Preis des Edelbordeaux verkauft wurden. Carsten hätte nichts zu tun gehabt damit, sagt er, aber er musste das Land verlassen. Jetzt trainiert er weltweit Menschen, die auf alle Eventualitäten vorbereitet sein wollen. „Den Korkenzieher kann man auch als Stichwaffe verwenden“, so Carsten, zu einer kleinen Gruppe von Weinpreppers in T-Shirts und Cargohosen aus Tarnfarben, die zwischen St. Émilion-Sand und Mosel-Schiefer-Grau changieren. Manche sind auch in den Farben britischer Sparklingweine eingekleidet, gemischt mit den Tönen provenzalischer Rosés aus biodynamischer Landwirtschaft. Auffallend: Es sind ausschließlich Männer.
„Ich arbeite in einer Werbeagentur. Das härtet ab und schärft die Reflexe.“
Carsten sagt: „Wenn der Wein ausgeht, wird der Mensch wieder zum Tier.“ Jochen nickt. Die Gruppe wirft sich zu Boden. Während Carsten mit der Stoppuhr die Zeit nimmt, vergraben die Teilnehmer des Trainings ein jeder für sich eine Magnum „Puligny-Montrachet 1er Cru“ Jahrgang 2013 von Arnaud Ente im Waldboden und verwischen die Spuren. Gerd ist der Schnellste. „Ich arbeite in einer Werbeagentur, da gelten oft nur Sekunden, um sich ein Sandwich vom Besprechungstisch zu sichern. Das härtet ab und schärft die Reflexe.“ Gerd trägt Trecking-Sandalen von Timberland und bordeauxrote Kampfsocken.
Carsten stellt mir die Familie Schmid vor, die für alle Bewohner ihres Dorfes Vorräte angelegt hat. „Wir sind bereit, uns gegen Plünderer und Zuwanderer zu verteidigen.“ Der gemeinsame Keller des Dorfes sei einerseits mit Überwachungskameras, die mit einem Stromaggregat betrieben würden, andererseits mit Selbstschussanlagen besichert. Der Akku für die Kameras wird von zwei Jungen betrieben, die Tag und Nacht am Fahrrad sitzen.
Die Familie Schmid beschäftigt eine große Sorge. Eveline Schmid sagt: „Wir haben Angst vor dem rechtsradikalen Mob. Vor Menschen, die nur noch deutsche Weine trinken wollen. Doch es gibt nicht genug gute deutsche Weine für alle.“ Eveline Schmids Augen sind tränenerfüllt. Eveline Schmids Tochter Chantalle hat auf den Oberarmen die Gesichter der Naturweinmacher aus dem Jura ein tätowiert. Sie umarmt ihre Mutter.
Hinter der alten Schule des Ortes gibt es einen in den Boden gegrabenen Kanister mit destilliertem Wasser. „Wasser?“, frage ich. „Um die Weingläser zu waschen“, antwortet Martin Schmid. „Bei einem biologischen Anschlag kann das Wasser auf Wochen unbrauchbar sein. Ich habe nichts gegen avinierte Gläser. Aber nach ein paar Tagen muss Wasser her."
Die Verteidigung der eigenen Weinvorräte wird im Fall des Falles entscheiden, ob man die Wochen mit gepanschtem spanischen Wein, gar mit Wasser oder Bier, oder mit Grand Crus aus dem Burgund verbringen wird. Carsten bringt einer Gruppe die wichtigsten Regeln des Nahkampfes bei. Wenn der Super-GAU kommt, Epidemien oder der Blackout, dann gilt: „Psychopathen werden das Land übernehmen. Andere Menschen und deren Weinvorräte sind dann für sie nur noch Ressourcen.“
Ich nehme an einem Trainingslager teil. Neben Schlafmatte und Biwaksack gehören zu diesem Prepper-Wochenende auch ein Set an Universalgläsern sowie ein kleiner Weinkühlschrank in Tarnfarben. Neben Jiu Jitsu und Karate lernen wir, wie man im Rennen eine Flasche steirischen Sauvignon Blanc öffnet und austrinkt. Zur Not muss auf Weingläser zugunsten eines Zahnputzbechers verzichtet werden.
Um sich zu tarnen, empfiehlt Carsten, die Gesichter mit dem Depot alter ,Figeacs‘ einzuschmieren.
Im Ernstfall trinkt der Prepper auch aus der Flasche. „Für viele ist das ungewohnt“, so Carsten, „nach diesem Wochenende trinkst du ,Figeac‘ aus der Flasche wie Coca Cola.“ „Figeac“ ist wegen seiner Pferdeschweißaromen einer der Lieblings-Bordeaux der naturverbundenen Weinpreppers. „Sein Duft ist so erdennahe, dass Weinsuchhunde ihn nicht erschnüffeln können.“ Um sich zu tarnen, um im Wald unsichtbar zu bleiben, empfiehlt Carsten den Teilnehmern, ihre Gesichter mit dem Depot alter ,Figeacs‘ einzuschmieren.
Am nächsten Tag üben wir die Jagd. Es geht aber nicht gegen Kaninchen oder gegen Wildschweine. Hundert Kilometer von unserem Camp entfernt befindet sich ein Restaurant, das für seinen Weinkeller bekannt ist, und am heutigen Tag geschlossen ist. Hier vermutet Carsten Vorräte, die ein Dutzend Menschen eine Woche über die Runden bringen. Nach dem Transport mit zwei Jeeps und einem zwanzig minütigen Fußmarsch stehen wir vor den Toren des geschlossenen Restaurants. „Wir leben in einer Zeit, wo alles just in time ist“, sagt Carsten, als er das Türschloss sprengt, „kaum jemand hat noch Weinvorräte zu Hause. Da genügen ein paar Tage, bis die Menschen draufkommen, oh, der Supermarkt ums Eck, die Vinothek, was, wenn ich da nicht einfach hineinspazieren und eine Flasche kaufen kann? Was mache ich jetzt? Okay, dann hole ich mir das woanders.“
Ab jetzt wird nur noch geflüstert. Der Weinkeller des Restaurants ist mit einer mächtigen Sicherheitstüre gesichert. Carsten flüstert, während er einen kleinen Sprengsatz bastelt:
„Die Herausforderung ist hier, wenn man die Türe aufsprengt, nicht die Weinvorräte dahinter zu beschädigen. Auch die Etiketten müssen unversehrt bleiben, falls es sich um wertvolle Flaschen handelt, die man vielleicht eintauschen möchte.“ Daniel, einer aus der Gruppe, hat mir während der Anreise erzählt, für ihn sei es doppelt so schwierig, denn er leide seit Jahren unter Histaminunverträglichkeit. Schwere und tanninhaltige Rotweine kämen für ihn nicht infrage. Daniel wurde etwas übel auf dem Rücksitz des Jeeps. Er ist blass. Im Ernstfall wird man sich um ihn Sorgen machen müssen.
Was für ein Keller! Die Weinpreppers starren gespannt auf die an die 2.000 Flaschen, die der Patron des Restaurants für seine Gäste gesammelt hat. Tom, einer aus unserer Gruppe, greift zu einer Magnum „Léoville Las Cases“ aus dem Jahr 1982. „Ein 100 Punkte Wein!“, jubelt er. Carsten ruft dazwischen: „Sofort hinlegen, das ist nur eine Übung.“
Und zu mir sagt er: „Du siehst, wie dünn die Decke der Zivilisation jetzt schon ist.“ Tom hatte schon den Korkenzieher im Anschlag.