Alwin Jurtschitsch, das muss man kurz erklären, bevor wir anfangen, hat das österreichische Traditionsweingut Jurtschitsch übernommen und vieles dort komplett neu aufgestellt.
Ja, das stimmt. Aber ich habe auch einiges so gelassen, wie es war, weil es bekannt ist und gut funktioniert. Tradition ist immer gut, wenn du darauf aufbauen kannst. Aber du darfst halt nicht einschlafen.
Trotzdem hat sich am Weingut vieles geändert, die Art wie Weine gemacht werden, die Arbeit mit den Lagen. Da blieb vom alten Weingut Jurtschitsch nicht viel über.
Ja, wir haben die Weine schlanker gemacht und ihren Charakter geschärft. Generell gilt, dass sich jede neue Winzergeneration den Zugang zum Wein und Weinmachen neu erarbeiten muss. Wir haben recherchiert und hinterfragt und dann daran gefeilt, dass unsere Weine präziser und eleganter werden.
Du machst das ja im Team mit deiner Frau Stefanie, die ja aus einem prominenten deutschen Winzerfamilie kommt.
Ohne Stefanie wär das alles unmöglich gewesen. Liebe stellt keine Bedingungen, aber es ist einfach super, wenn der Liebespartner auch zum Arbeitspartner wird und man eine Idee teilen kann. Dann fühlt man sich, das hört sich vielleicht komisch an, bei manchen Entscheidungen nicht so alleine.
Bevor du auf den elterlichen Hof zurückggangen bist, hast du dir ja die ganze Weinbauwelt angesehen. Und in Geisenheim studiert.
"Tradition ist immer gut, wenn du darauf aufbauen kannst. Aber du darfst halt nicht einschlafen."
Ja, Stefanie und ich haben dort sogar gemeinsam studiert. Aber zuerst bin ich nach Neuseeland gegangen. Und dort von Weingut zu Weingut getingelt und habe als Büttenträger gearbeitet, also die einfachsten Dienste gemacht.
Das war eine irrsinnig tolle Zeit, denn ich war jeden Abend mit Praktikanten aus der ganzen Welt unterwegs und wir haben geredet, was im Weinbau so abgeht. Ich habe dann auch schnell kapiert, dass mir diese Welt gefallen könnte.
Danach bist du nach Australien gegangen und hast dort den Winzer James Erskine kennengelernt, mit dem dich eine enge Freundschaft verbindet. Wer ist James Erskin?
James kam gerade von seinen Wanderjahren aus Europa zurück. Er hat damals unter anderem im ehemaligen Restaurant Vau in Berlin gejobbt und eine Ernte in der Wachau am Weingut Holzapfel mitgemacht. In der alten Welt hat er seine Liebe zum Wein gefunden. Ein Quereinsteiger, der seine Materie gefunden hat im Wein. Er wollte es genau wissen. Eigentlich wäre er gerne Musiker, glaube ich, aber er hat dann doch Önologie und Bodenwissenschaften studiert und in Weingütern und Restaurants gearbeitet. Und schliesslich sein eigenes Weingut – JAUMA – James Erskine in den Adelaide Hills gegründet.
Das war im Jahr 2002. Wie war der Weinbau im Barossa Valley damals? Und wie die Weine?
Das Geschmacksbild dieser Jahre war einfach zu sehr „Neue Welt Style“. Ich denke an unzählige austauschbare Superstar Oenologen, die massenweise Monsterweine hervorzauberten. Fette Shiraz Marmelade. Etiketten mit grinsenden einheimischen Tierchen. Sowas in der Art. Ich bin dann 2014 wieder nach Australien, weil ich gehört habe, dass sich da was tut. Radikale Winzer, arge Weine. Die waren viel weiter als wir damals. Ich hatte keine Vorstellung von dieser anderen Szene.
Und was hatte sich in den über zehn Jahren geändert?
James hat mir seine „Honey-Factory“ und die ganze australische Natural Wine-Szene gezeigt. Da geht es nur um Handwerk. Ungefähr so wie in der bereits etablierten Craft Beer Szene. James hat dort ein Projekt laufen, das er Natural Selection Theory nennt, was sowas wie der Urknall der australischen Natural-Bewegung war.
Klingt für meine Ohren etwas gewöhnungsbedürftig. Naturselektions-Theorien hatten manchen Leute hierzulande auch schon.
Das hat damit aber nichts zu tun.
Du musst dir das so vorstellen: Drei Winzer tanzen singend und musizierend um neun große Keramik Eier herum. In den Eiern liegt die Semillon Maische, das bereits vergorene Zielmaterial dieses obskuren Weintanzes.
Ich mag diese Weinwelt, die nach ihren eigenen Regeln funktioniert...
James Erskine, Anton van Klopper von der Domaine Lucy Margaux und Tom Shobbrook [Shobbrook Wines, Adelaide] wollten herausfinden, wie der pure Wein auf unterschiedliche Emotionen und Vibrationen reagiert. Wie er sich stabilisiert, ganz ohne Zusätze. Das ist diese Natural Selection Theory, ein experiementelles Wein und Kunstprojekt, beruhend auf der Theorie des japanischen Wasserforschers Dr. Masaru Emoto. Wie du dir denken kannst, ist das ein einmaliges und schräges Projekt. Doch es war so um 2010 der Anfang einer neuen Bewegung in Australien. Und der Anfang der Natural Wines im Land.
Und die hat dich angesteckt?
Angesteckt vom Natural-Wines-Virus war ich schon. Ich wurde ehe bestätigt, wie gut das klappt. Ich trank handwerkliche Weine, gemacht von Winzern, die einen ganzheitlichen Denkansatz haben. Vom Weingarten bis in die Flasche. Biologische Bewirtschaftung und Handlese sind selbstverständlich. Gelesen wird nach Geschmack.
Reif, aber niemals überreif. Um den Wert der natürlichen Weinsäuren in den Beeren ist man sich dort bewusst. Die Weine sollen einen moderaten Alkoholgehalt haben und „trinkig“ bleiben und am besten von „dry–farmed“, sprich bewässerungsfreien Weingärten kommen. Und beim Schwefel ist man wirklich radikal minimalistisch. Nur so kann es zum lebendigen Ausdruck von Herkunft und Persönlichkeit im Wein kommen. Das ist dort der Tenor.
Auf den Fotos sieht es ja ziemlich wild aus in James Honey Factory.
Allerdings. Da lebt jemand seinen, aber auch meinen Traum. In der ehemaligen Honigfabrik gibt es ein kleines, steinernes Häuschen. Der Rest sind ein paar Holzfässer unter einem Wellblechdach, alles ein bisschen wild style.
Das Weingut gleicht einer riesigen Garage und alles wirkt halt sehr improvisiert.
... Ich habe sie mit mir in die Alte Welt gebracht.
Ein museumsreifer, rostig gelber Elektrostapler ist eine der wenigen Maschinen, die es da gibt. Nichts an der Umgebung lässt erkennen, dass James Bodenwissenschaftler mit Önologie-Abschluss ist und einmal als ausgezeichneter Sommelier des Jahres in den feinsten Restaurants tätig war.
Was braucht man also, um geile Weine zu machen?
Auf jeden Fall keinen technischen Schnick-Schnack. Ein paar Schaufeln und körperliche Fitness, alles ist sehr einfach, es gibt nicht viel zu erklären. Handwerk eben. Das Weglassen scheint mir bei dieser Arbeitsweise die Grundphilosophie zu sein. Es ist ein Paralleluniversum zur der uns allen bekannten industriell ausgerichtete australischen Weinwelt, die ich bisher kannte.
Und dann gibt es in Australien ja auch so ein Festival der Natural Wines, das wir nicht haben. Wie heißt das? Und wie geht es dort zu?
Es heißt Rootstock-Festival und ist eigentlich eine Parallelwelt in Flip Flops. Eh klar, dass es nach Woodstock benannt wurde. Das Rootstock findet in Sidney statt, auf einem ehemaligen Bahnofsgelände.
Sowas kennt man ja aus Berlin. Dort gibt es jede Menge ehemalige Bahnhofsgelände.
Stimmt. Wäre ja eine Anregung, oder? Das Rootstock ist ein Paradies für Sommeliers, Weinhändler und Konsumenten, eine Entdeckungsreise nach neuen Geschmäckern, Geschichten und Gesichtern. Oft versteckt hinter Bärten, Tattoos und Sonnenbrillen. Natürlich geht es hier vor allem um Identitätsfindung und Selbstdarstellung. Aber es sind keine oberflächlichen Hipster, sie wollen halt, dass sich die Persönlichkeit im Wein widerspiegelt. Und nicht nur das Terroir. Sie suchen im Gesamten die Feinstofflichkeit.
Und wie finden sie die?
Ganz einfach:
Trial and error. Den error verkleinerst du durch Information und Austausch.
Junge Quereinsteiger diskutieren mit überzeugten Querdenkern.
Viele kennen die Alte Weinwelt, also Europa, gut genug, haben zum Beispiel häufig im Burgund studiert oder ihr Praktikum an der Loire oder im Jura gemacht.
Sie bringen alte Methoden heim in ihre Weingärten und Keller.
Rootstock bietet eine freie und unabhängige Plattform für diese Bewegung, die keine Mitläufer, sondern Anhänger findet. Ungezwungen passiert hier ein Paradigmenwechsel, auf den mit naturtrüben Inhalten angestoßen wird.
Die junge Generation von Weintrinkern hat Durst auf neue, aufregende Weine. Und findet es einfach geil hierherzukommen und zu probieren. Jeder junge Winzer muss sein Terroir neu entdecken und interpretieren. So entsteht eine Vielfalt an Weinen mit der unverkennbaren Persönlichkeit ihrer Winzer. Ich mag diese Weinwelt, die nach ihren eigenen Regeln funktioniert. Ich habe sie mit mir in die Alte Welt gebracht.
Wild, lebendig, komplex. Es geht darum ein bisschen mehr Free-Jazz in den Keller zu lassen.
Welche deiner Weine funktionieren und schmecken nach diesen neuen Regeln?
Es sind keine neuen, sondern eher vergessene Regeln die wieder ausgegraben wurden. Das spannendste Projekt, dass sich ergeben hat, ist eine Kooperation mit unseren guten Freunden vom Weingut Arndorfer im Kamptal: Unter dem Label „Weingut Fuchs und Hase“ vinifizieren wir Pét-Nat – Pétilliant Naturell - eine eigentlich alte Französische Schaumweinmethode bei der während der Gärung, quasi Sturm, in Sektflaschen mit Kronenkork gefüllt wird. In der Flasche gärt es weiter und so wird natürliche Kohlensäure gebildet. Die natürlichste Art von Sprudel.
Wie kann man alte Lagenweine neu aufstellen?
Aus der Lage Loiserberg kam 2013 ein spannendes Pärchen. Eine ganz klassischer Ersten Lagen Grünen Veltliner. Ein weiteres Fass bekam einfach mehr Freiheit, wurde erst nach 18 Monaten unfiltiert, und mit minimalsten Schwefel gefüllt – wild, lebendig, komplex, anders aber trotzdem ein echter Loiserberg. Es geht uns dabei darum ein bisschen mehr Free-Jazz in den Keller zu lassen.