Japaner werden nicht alt. Sie erreichen zwar ein hohes Lebensalter, weil sie exzessiv nur jene Lebensmittel essen, die sie spielend hundert Jahre alt werden lassen – Fisch, Fisch und Fisch – doch mit Beginn ihres vierzigsten Lebensjahres beginnen sie zu mumifizieren.
Diese Frau aus Japan, das sieht man gleich, lächelt viel. Eigentlich lächelt sie immer.
Mit feuchter Haut und in gutem Zustand wohlgemerkt. Erst zwanzig bis dreißig Jahre später folgt dann jener Altersschub, den Mitteleuropäer schon Mitte Vierzig verpasst bekommen. Es sei denn, sie essen Fisch, Fisch und Fisch. Und heißen Iris Berben.
Tomoko Kuriyama ist Ende vierzig, hat zwei erwachsene Söhne, ist klein, zierlich wie ein Mädchen, dem man gerade mal 36 Lebensjahre zurechnen würde. Das ändert sich auch nicht, wenn man ein wenig näher hinsieht: Kuriyamas Haut ist sonnengegerbt, aber nicht ledrig und Kuriyamas Lächeln zaubert wenig Falten um die Augen. Diese Frau aus Japan, das sieht man gleich, lächelt viel. Eigentlich lächelt sie immer. In Japan, dem Land des Lächelns, mag das Lächeln gesellschaftliche Pflicht sein; hier im Burgund, dem Land der französischen Griesgrame, lächelt Kuriyama frei, lächelt, weil sie sich wohlfühlt. Angekommen. Mann, Land, Weingut, Leben. Dasein. Da. Sein.
Weggegangen um zu bleiben! Hier zu bleiben! Im Burgund zu bleiben! Tomoko Kuriyama stoppt ihren alten japanischen Mittelklassewagen neben einem Weingarten, einem kleinen Clos, wie man an den Mauern erkennen kann.
Sie zeigt auf einen Hektar unter einem jener Hügel, auf dem sich mindestens 17 weltberühmte Kleinparzellen befinden. Und schwuppdiwupp, ist sie im Weingarten verschwunden, obwohl die Stöcke hier traditionell zum niederen Wuchs angehalten werden. Gott sei Dank trägt Kuriyama ein lila T-Shirt und so kann man ihren zierlichen Körper zwischen den grünen Blättern immer wieder kurz aufblinken sehen. Die Frau geht nicht verloren.
Kuriyama greift in die wachsenden Trauben und reißt hier und da ein Blatt weg. Am Kraut, das zwischen den Stöcken schießt, kann man erkennen, dass hier biologisch gearbeitet wird. „In Umstellung“, sagt Kuriyama, „wie es hier zum Glück schon öfter der Fall ist.“
Der Weingarten ist aber nicht ihr Weingarten. Ihr eigenes Weingut Chanterêves hat gar keine Weingärten, Kuriyama kauft zum Weinmachen alle Trauben zu. Diesen Weingarten hier bewirtschaftet sie für seinen Besitzer und macht ihm die Trauben zur Ernte fertig. Dafür, vor allem für ihre erstklassige Arbeit, bekommt sie von ihm ein Honorar. Kuriyama hat ein paar solcher Weingärten zur Pflege. Das Geld aus dieser Arbeit bringt sie in das Gemeinsame nach Hause, das sie gemeinsam mit ihrem Mann Guillaume Bott teilt und lebt, einem Önologen und Kellermeister, der sich schon sehr jung einen Namen gemacht hat. Önologenehen sind wie Journalistenehen: Man hat sich immer was zu erzählen. Und wenn es mal Streit gibt, reißt man einfach eine Flasche auf und säuft sich den Konflikt zu Bett.
Kein Wort Deutsch? Und große Liebe? Geht!
Tomoko Kuriyama und ihr Mann haben neben ihrer Arbeit für Dritte noch ein zweites Leben, das vor allem Tomokos Projekt ist: Die schon vorhin erwähnte Firma namens Chanterêves, eine kleine Weinmanufaktur, wo die Familie aus vormals fremdem Lesegut ihre eigenen Weine keltert.
So ein „Weingut“ mag für viele passionierte Weintrinker alten Schlages ungenügend sein, doch haben solche Betriebe weltweit Tradition, hier im Burgund zudem eine große, und in der Champagne ist dieses System sogar das bestimmende System des Geschäfts.
Das läuft freilich der nicht kaputtzukriegenden Romantik der eigenen Scholle entgegen, die das Winzertum und das Weinmachen in Geiselhaft hält. Doch entstehen so seit Jahrhunderten auch ein paar der besten Weine der Welt. Kuriyama hat die feste Absicht, zu diesen besten Weinen ein paar Flaschen beizusteuern.
Wie kommt man aus Japan in die Burgund? Ganz abwegig ist das Fortgehen für Japaner nicht, das Land ist eher Verpflichtung als eine Nation. In Tomoko Kuriyama sah man das immer anders. Der Vater ist Filmregisseur und die Mutter Autorin, beide sind Teil der japanischen Studentenbewegung von 1968, die einen ähnlich gewaltigen Aufstand entfachte wie jene in Deutschland. Nur ging es nicht gegen die USA in Vietnam, sondern gegen den neuen Flughafen am Stadtrand von Tokio.
Kuriyamas Eltern, so erzählt sie, lebten vor vierzig Jahren schon sehr europäisch. Dazu gehörte die abendliche Flasche hochwertigen Bordeaux. Da ist sie auf den Geschmack gekommen. Keine reine Grüntee-Lebenskultur also. Und auch keine Angst vor der Welt hinter den Meeren, die ja die meisten Japaner immer noch plagt. Kuriyama hatte keine Bange, im Ausland missverstanden zu werden und brach gleich mit einer der größten japanischen Traditionen, dem Unter-Gleichen-Bleiben, weil sie sich in einen Deutschen verliebte: Peer, mit dem sie gemeinsam arbeitete. Nichts mit Wein übrigens.
Kein Wort Deutsch? Und große Liebe? Geht!
Gehalten hat die Ehe nicht, aber die beiden großen Söhne sind eine Nummer für sich. Sie tragen die genetischen Züge des Vaters, sprechen aber fließend Japanisch, weil sie in Tokio aufgewachsen sind. Natürlich wird der Nachwuchs im Weingut eingespannt. Zum Fassreinigen zum Beispiel. Kai macht das gerade, es dampft im Hof, als wäre ein Geysir ausgebrochen. Fassreinigen klingt nach Facility Management, ist aber eine enorm verantwortungsvolle Aufgabe.
Fass schlecht ausgewaschen = Wein möglicherweise sicher fehlerhaft.
Kuriyama ging mit Peer 1994 nach Deutschland. Dort winkte sie stellensuchend mit ihrem abgeschlossenen Politstudium, das sie in den Staaten absolviert hatte. Die deutschen Behörden winkten zurück und taten kund, dass ihr Politdingsbums aus den Staaten und die Zeugnisse aus dem Sushiland in der Bundesrepublik nichts wert sind. Da könnte ja jeder kommen. Kuriyama war also auf das Niveau eines Hilfsarbeiters zurückgestuft. Von der Nation der Dichter und Denker.
20 000 Flaschen. Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben.
Was dann? Dann hat sie begonnen, auf Weingütern zu arbeiten. Interessiert hat sie das immer. Und die Grundausbildung ihres Vaters in Sachen Wein war ja nicht von schlechten Eltern: Immer eher die guten Flaschen leeren und die schlechten gleich ganz auslassen. Freilich kamen die meisten aus Frankreich; Deutschland und der deutsche Weinbau waren für Kuriyama ein unbeschriebenes Blatt. Bis sie bei Rudolf Fürst in Franken zu arbeiten anfing, dem einzigen bayrischen Winzer, der Spätburgunder richtig weltklasse hinbekommt.
Wenn machen, dann richtig machen. Deswegen Geisenheim. Studieren geht über Probieren – wie oft haben die Studenten dort diesen Spruch schon gehört? Dort fiel sie auf, nicht nur, weil sei anders aussah, sondern weil sie einen ganz anderen Zugang zu Wein hatte – nicht unbedingt den bacchantischen.
Danach ins Burgund! Warum? Weil hier eine Wiege des Weinbaus stehe, sagt sie. Sie lebt gerne in den Hügeln bei Beaune, obwohl die Region mannigfaltig Probleme hat. Einige Winzer verdienen ordentlich, andere aber verhungern am ausgestreckten Arm. Trotzdem geben die nichts von ihrem Besitz ab, denn das Land hier ist immens teuer. Zumindest auf dem Papier. Tomoko und ihr Mann Guillaume haben im Augenblick auch kein Geld, Land zu kaufen. Doch der moderne Keller unter einem neuen Einfamilienhaus (nicht ihres) macht einiges her. Hier ist alles sauber, hier wird akribisch gearbeitet. Man merkt sofort: Chanterêves ist kein Hobbyweingut.
Derzeit füllt die Familie rund 20.000 Flaschen ab. Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben. Deswegen wird sich die Gebindezahl bald verdoppeln. Das ist der Plan. Dann müssen Tomoko und Guillaume auch nicht mehr so viel nebenbei arbeiten. Manchmal sei es anstrengend, sagt Tomoko, aber sie habe das Ziel vor Augen. Was dann? Keine Ahnung? Vielleicht mal bleiben.