Glamour
Treten Sie näher und streifen Sie bitte Ihr schlechtes Schuhwerk ab. Dieses Heft darf nur in handgefertigten, rahmengenähten Lederschuhen betreten werden. Was? Die haben Sie nicht? Solche kennen Sie gar nicht? Nun gut, dann machen wir es bei diesem Heft ausnahmsweise mal so, wie es in jedem Londoner Herrenclub gemacht wird: der Besucher kann sich für die Zeit seines Besuchs Kleidung ausleihen.
Da! Na, was ist?! Nehmen Sie schon! Ein Hemd von Turnbull & Asser! Ein Anzug von Paul Smith! Und Budapesterhalbhoch für die Füße! Von Till Reiter aus Wien. So kriegen Sie mal was Richtiges zum Anziehen. Kommt sonst wohl nicht oft vor, oder?
Na also, schaut ja schick aus. Kommen Sie rein, ich stelle Ihnen ein paar Leute vor, die Sie vielleicht vom Hörensagen kennen, weil Sie schon mal ihre Weine getrunken haben. Darf ich Sie mit Barbara & Erik Rundquist bekannt machen? Ja, das sind die beiden hier. Brav Hände schütteln und weiter, denn da drüben wartet schon das Ehepaar Hüsgen, ganz famose Leute, modern, gebildet, weltläufig – kurz und gut: ein Glanz an der Mosel. Und erst ihr Kellermeister, Max Ferger. Das ist vielleicht einer! Der hat einen österreichischen Schweißhund für die Jagd. Nein, keinen „Schweinehund!“ Können Sie nicht zuhören? Einen Schweißhund. Aus Österreich. Halten Sie die Hand von Frau Rundquist nicht so fest, Sie können die Leute hier ja alle in der Geschichte über den Moseladel besuchen.
Apropos Mosel! Haben Sie schon gehört, dass Ernst Loosen verschwunden sein soll? Seltsam. Auf einmal war er weg. Aber, jetzt im Vertrauen, wir haben einen engen Vertrauten von Loosen getroffen, der uns über Loosens Leben erzählt hat. Das hilft zwar wenig, Loosen wiederzufinden, aber man erfährt viel, wie Loosen, zu „Dr L.“ wurde. Dr. L.? Klingt das nicht wie in einem Bond-Film. Nö? Na gut, dann nicht. Kommen Sie weiter, bevor Sie hier noch Wurzeln schlagen.
Da drüben ist Markus Molitor. Schicker Anzug, finden Sie nicht? Sie sehen, die Mosel hat einiges an Glamour zu bieten. Ich, meinerseits, bin dem Glamour ja nicht abgeneigt, wenn ich so sagen darf. Obwohl, oder erst recht, weil ich in einem Sozialbau aufgewachsen bin. Und darum habe ich eine Geschichte über das Grill Royal in Berlin geschrieben. Ja, hier entlang! Ist etwas weiter drin im Heft. Auf Seite 60. Seien Sie vorsichtig, dass Sie andere Artikel nicht beschädigen. Steigen Sie einfach drüber. Großer Schritt! Ja! So ist es gut.
Wo waren wir? Ach ja, beim Grill Royal. Dort habe ich einige Jahre zum Inventar gezählt – das nur im Vertrauen. Einen Tisch? Im Grill? Für Sie und Ihre Frau? Nee, den kann ich Ihnen nun wirklich nicht besorgen. Vergessen Sie nicht, dass Sie überhaupt nur mit den Leihklamotten, die ich Ihnen gegeben habe, hier ins Heft gekommen sind. Und jetzt wollen Sie gleich so hoch hinaus. Es sei Ihnen vergeben, ich gebe ja jeder Unverschämtheit Pardon. Was wäre die Welt ohne die Unverschämten.
Waren Sie schon mal in Südtirol? Ja? Und? Ach Sie sind nur durchgefahren und haben auf dem Weg zur Blumenriviera kurz angehalten. Na, mein Lieber, Sie haben keine Ahnung, was Ihnen da entgangen ist. Wir haben eine Geschichte für das Europaheft – die letzte Ausgabe, Sie erinnern sich – liegen gelassen. Und irgendwann im Januar wurde sie reif zum Schreiben. Deswegen kommt sie erst jetzt in dieser Nummer.
Und kennen Sie Tokaj? Ja, das ist in Ungarn. Wo Orbán regiert, der erste Trump Europas. Aber wir wollen hier nicht rumpolitisieren, sondern gute Laune haben und das Leben genießen. Eine gute Bekannte, Baronin Julia Klüber, hat sich im Tokaj eine Zeit lang herumgetrieben und die Winzer dieses einst königlich genannten Süßweins zum Plausch getroffen. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie groß Baronin Klübers Überraschung war, als sie bemerkt hat, dass der Winzeradel im Tokaj so viel Wert auf trockene Weine legt. Lang steht die Welt nicht mehr. Das können Sie mir glauben.
Ach? Sie wollen von jetzt an alleine weiter ins Heft vordringen? Bitte gerne, ich habe freilich auch anderes zu tun. Eine Zigarre rauchen, zum Beispiel. Im Feuilleton. Mit einem Glas Portwein. Gehen Sie nur weiter, Sie brauchen mich nicht mehr. Ich mache mir hier in der Gerd-Rindchen-Kolumne ein kleines Feuerchen und wärme meine klammen Zehen. Adieu, mein Lieber! Und vergessen Sie bitte nicht, die Klamotten abzugeben, wenn Sie das Heft wieder verlassen. Der Garderobier heißt Raul Brutzkowski.
Wir wünschen viel Spaß beim Schlucken!